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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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von verschiedener Zubereitung,und Sie können von hier den Weinberg sehen, welcher alle diese fremden Gewächse erzeugt. Wenn sie an Güte den berühmten Weinen nachstehen, deren Namen sie führen, so sind sie dafür auch von den Mißständen frei, die man bei jenen nicht vermeiden kann, und da man sicher weiß, was in ihnen steckt, so kann man sie wenigstens ohne Gefahr trinken. Ich habe Ursache, zu glauben, daß mein Vater und mein Mann sie ebenso gern mögen, als die seltensten Weine. Es ist etwas dabei, sagte Herr von Wolmar, das ihnen einen Wohlgeschmack giebt, der allen andern abgeht, nämlich das Vergnügen, welches sie darin gefunden hat, sie zu bereiten. — O, erwiderte sie, sie werden auch ohnedem immer ausgezeichnet sein.
    Sie können sich denken, daß bei so mannigfaltiger Thätigkeit der Müßiggang und die Langeweile, die von Besuchen und Gesellschaften unzertrennlich sind, hier keinen Platz finden. Man besucht die Nachbarn nur so viel als nöthig ist, um mit ihnen in angenehmen Verhältnissen zu bleiben, aber nicht so viel, daß man sich zum Sklaven dieses Umganges macht. Gäste sind immer willkommen, werden aber nie herbeigewünscht. Man sieht nur gerade so viel Leute, als dienlich ist, um sich den Geschmack am zurückgezogenen Leben zu erhalten. Die ländlichen Beschäftigungen dienen statt der Lustbarkeiten, und Dem, der im Schoße seiner Familie eine süße Geselligkeit findet, wird jede andere bald unschmackhaft. Die Art, wie man hier seine Zeit zubringt, ist zu einfach und zu gleichförmig, um viele Leute zu reizen; aber den Personen, die sich hier ihrer bedienen, macht ihr ganzes Wesen und Gemüth sie lieb und angenehm. Kann man, bei gesunder Seele, es langweilig finden, die theuersten und entzückendsten menschlichen Pflichten zu erfüllen und sich gegenseitig glücklich zu machen? Jeden Abend mit dem verlebten Tage zufrieden, wünscht sich Julie den nächsten nicht anders, und jeden Morgen bittet sie den Himmel um einen, der dem vorigen gleiche; sie thut immer wieder dasselbe, weil es gut ist, und weil sie nichts kennt, was besser wäre. Ohne Zweifel genießt sie so aller Glückseligkeit, die dem Menschen vergönnt ist. Wenn man nichts wünscht, als die Fortdauer des Zustandes, in welchem man sich befindet, ist dies nicht ein sicheres Zeichen, daß man sich glücklich darin fühlt?
    Wenn man hier selten jene Haufen von Müßiggängern sieht, die man gute Gesellschaft nennt, so hat dafür Alles, was sich einzufinden pflegt, durch irgend eine vortheilhafte Seite etwas Anziehendes für das Herz und macht etwelche Lächerlichkeiten durch tausend Tugenden gut. Friedliche Landbewohner, ohne Weltübung und Umgangston, aber gute, schlichte, brave und mit ihrem Loose zufriedene Leute; ehemalige Offiziere, die sich aus dem Dienst zurückgezogen haben; Kaufleute, die es müde geworden sind, sich zu bereichern; verständige Familienmütter, welche ihre Töchter hier in die Schule der Bescheidenheit und guten Sitte bringen, dies ist die Welt, welche Julie um sich zu versammeln liebt. Ihr Mann hat es nicht ungern, bisweilen einen von jenen Abenteurern hinzuzuziehen, welche Alter und Erfahrung gebessert haben, welche, auf ihre Kosten weise geworden, es sich nicht leid sein ließen, auf das Erbe ihrer Väter, das sie lieber nie verlassen haben möchten, zurückzukehren, um ihr Land zu bauen. Wenn Jemand bei Tische die Schicksale seines Lebens erzählt, so sind es nicht die sinnreichen Abenteuer des reichen Sindbad, der im Schoße orientalischer Weichlichkeit erzählt, wie er seine Schätze gewonnen hat, es sind die schlichteren Berichte verständiger Leute, denen die Launen des Schicksals und die Ungerechtigkeiten der Menschen die falschen Güter, denen sie vergebens nachrannten, verleidet haben, um ihnen die wahren wieder lieb zu machen.
    Sollten Sie glauben, daß selbst die Unterhaltung der Bauern Reize hat für diese erhabenen Seelen, von denen der Weise mit Freuden lernen würde? Der einsichtige Wolmar findet in der Naivetät des Landvolkes ausgeprägtere Charaktere, mehr selbstdenkende Männer, als unter der einförmigen Maske der Städter, wo jeder sich mehr so zeigt, wie Alle sind, als wie er selbst ist. Die liebreiche Julie findet bei ihnen Herzen, die für den kleinsten Liebesbeweis dankbar sind, und sich glücklich schätzen, wenn man an ihrem Wohlergehen Theil nimmt. Herz und Geist ist bei ihnen nicht künstlich zugestutzt; sie haben sich nicht nach unseren Mustern bilden gelernt, und man braucht

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