Julie oder Die neue Heloise
nach dem der Leute, mit denen sie sich umgeben hat. Man weiß in der That nicht, was man hier hinzuthun, was hinwegnehmen sollte, weil man nur das Nützliche findet, und weil nichts Nützliches fehlt, so daß man nichts wünscht, was man nicht sähe, und daß man nichts sieht, von dem man nicht sagen möchte: warum ist nicht mehr davon da? Denken Sie sich Treffen, Schildereien, Vergoldungen, Wandleuchter hinzu, und im Augenblick ist Alles armselig. Wenn man alles Nöthige so im Ueberflusse und nirgend eine Spur von Ueberflüssigem sieht, so muß man unwillkürlich denken, wenn das letztere nicht da ist, so ist es nicht da, weil man es nicht hat haben wollen, und wenn man es nur haben wollte, würde es in derselben Fülle da sein. Wenn man beständig das Gut mit Hülfe der Armen nach Außen fließen sieht, so muß man sich unwillkürlich sagen: dieses Haus kann all seinen Reichthum nicht fassen. Dies, dünkt mich, ist die wahre Pracht.
Dieser Anschein von Verschwendung erschreckte mich, als ich erfuhr, mit wie geringen Mitteln man hauszuhalten habe, Sie richten sich zu Grunde, sagte ich zu Herrn und Frau v. Wolmar; es ist nicht möglich, daß ein so mäßiges Einkommen hinreiche, um so bedeutende Ausgaben zu decken. Sie lachten und bewiesen mir, daß sie, ohne in ihrem Hause eine Beschränkung vorzunehmen, noch viel, wenn sie wollten, ersparen und ihr Einkommen eher vermehren könnten, als sich zu Grunde richten. Das Kunststück, welches uns reich macht, sagten sie, besteht darin, daß wir wenig Geld halten, und uns bei der Benutzung unseres Gutes, so viel als möglich, vor vermitteltem Ein- und Austausch von Erzeugniß und Bedarf hüten. Solcher Tauschhandel kann niemals ohne Verlust stattfinden, und je mehr sich die Verluste dieser Art häufen, desto eher können sie ziemlich beträchtliche Mittel erschöpfen; wie denn z. B. eine schöne goldene Dose, wenn man sie vertrödeln muß, zu einem werthlosen Tande werden kann. Wir vermeiden den Uebertrag unserer Einkünfte, indem wir sie auf der Stelle anwenden, und vermeiden gleichzeitig den Austausch von Erzeugnissen, indem wir die unsrigen in Natur verbrauchen; und bei dem dennoch unvermeidlichen Umsatz dessen, was wir zu viel haben, in das, was uns fehlt, suchen wir statt des Verkaufs und Kaufs in Gelde, wobei sich immer die Einbuße verdoppelt, unmittelbaren Austausch, bei welchem die bequeme Gelegenheit beiden Betheiligtm statt Nutzens dient.
Ich sehe die Vortheile dieser Methode ein, bemerkte ich, aber sie scheint mir auch nicht ohne Nachtheil. Abgesehen von der Last, welche sie Ihnen auflegt, muß der Nutzen mehr scheinbar als wirklich sein, und was Sie im Einzelnen bei der Verwaltung Ihrer Güter verlieren, ist wahrscheinlich mehr als der Gewinn, den Ihre Pächter machen würden, wenn Sie sie verpachteten; denn ein Bauer wird sich die Arbeit immer wohlfeiler stellen können, als Sie, und wird beim Einernten genauer zu Werke gehen. Hierin irren Sie, entgegnete mir Wolmar; der Bauer sieht weniger darauf, seinen Ertrag zu vermehren, als die Kosten zu sparen, weil ihm die Auslagen mehr drückend sind, als ihm ein Mehrertrag nützlich wäre. Da sein Absehen nicht sowohl darauf gerichtet ist, ein Kapital zu verwerthen, als mit den mindesten Kosten auszukommen, so wird er einen wirklichen Gewinn, wenn er ihn erlangt, weniger dadurch erzielt haben, daß er das Land verbessert, als dadurch, daß er es erschöpft hat, und der beste Fall ist noch, wenn er es blos vernachlässigt. So bereitet, um der Bequemlichkeit willen, etwas baares Geld ohne Mühe einzunehmen, ein Eigenthümer, der nicht selbst wirthschaftet, sich oder seinen Kindern große Verluste, große Mühsal und manchmal den Verderb seines Erbgutes.
Uebrigens, fuhr Herr von Wolmar fort, stelle ich nicht in Abrede, daß die Bewirthschaftung meiner Ländereien mir mehr kostet, als sie meinen Pächtern kosten würde, aber dafür nehme ich den Nutzen des Pächters selbst, und da die Bewirthschaftung weit besser ist, so ist der Nutzen weit größer, so daß ich, ungeachtet der größeren Ausgabe, doch noch gewinne. Und das ist noch nicht genug gesagt. Das Mehr der Ausgabe ist nur scheinbar und bringt in der That eine sehr bedeutende Oekonomie zuwege; denn wenn Andere unser Land bewirthschafteten, so würden wir müßig sein. Man müßte in der Stadt wohnen, das Leben dort würde mehr kosten, wir würden Vergnügungen mitmachen müssen, die uns theurer als diejenigen, welche wir hier haben, zu stehen kommen und
Weitere Kostenlose Bücher