Julie oder Die neue Heloise
weniger zusagen würden. Die Arbeiten, welche Sie für eine Last halten, betrachten wir zugleich als unsere Pflicht und als unser Vergnügen. Dank der Sorgsamkeit, mit welcher sie eingetheilt werden, sind sie niemals beschwerlich; sie bewahren uns vor einer Menge von ruinirenden Grillen, die das Landleben nicht aufkommen läßt oder verscheucht; und Alles, was zu unserem Wohlstande beiträgt, wird für uns zugleich zu einer Quelle des Vergnügens.
Blicken Sie umher, setzte dieser einsichtsvolle Familienvater hinzu, Sie werden überall nur nützliche Dinge sehen, die uns fast nichts kosten uns uns tausend unnütze Ausgaben ersparen. Nur was wir selbst gezogen haben, kommt auf unsern Tisch. unsere Geräthe, unsere Kleider sind fast insgesammt Erzeugnisse des Landes: nichts ist verachtet, weil es gemein ist, nichts geschätzt, weil es selten ist. Da Alles, was man von Weitem bezieht, dem Verderb und der Verfälschung ausgesetzt ist, so beschränken wir uns sowohl, um Alles gut und rein zu haben, als der Wohlfeilheit wegen, auf dasjenige, was bei uns vortrefflich und in unverdächtiger Qualität zu haben ist. Unsere Speisen sind einfach, aber auserlesen. Es fehlt unserem Tische, um luxuriös zu sein, nichts, als daß das, was aufgetragen wird, weit herkäme, denn Alles ist gut, Alles würde für Seltenheit gelten können, und mancher Feinschmecker würde die Forellen aus unserem See für etwas Vorzügliches halten, wenn er sie in Paris äße.
Dieselbe Regel beobachten wir bei der Anschaffung dessen, was zu unserem Putz gehört, der, wie Sie sehen, nicht vernachlässigt ist, aber es wird dabei nur auf Eleganz gehalten, auf Reichthum keine Rücksicht genommen und noch weniger auf die Mode. Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Werthe, welchen die Meinung den Dingen beilegt, und dem, welchen sie wirklich haben. Auf den letzteren allein sieht Julie, und wenn sie einen Stoff anschaffen will, so fragt sie nicht sowohl darnach, ob er veraltet oder neu ist, als vielmehr, ob er gut ist und ob er ihr gut stehe. Oft ist sogar die bloße Neuheit ein Grund für sie, ihn nicht zu nehmen, wenn nämlich diese Neuheit dem Gegenstande einen Werth giebt, den er nicht behalten kann.
Sie müssen auch noch erwägen, daß in dieser Hinsicht die Wirkung jedes einzelnen Dinges weniger aus ihm selbst entspringt, als aus seiner Anwendung und seiner Uebereinstimmung mit den übrigen; Julie weiß aus Stücken von geringem Werthe ein Ganzes von großer Schätzbarkeit zu machen. Der Geschmack wirkt gern schöpferisch und will den Dingen ganz allein ihren Werth geben. So unbeständig und aufreibend das Gesetz der Mode ist, so ersparend und vorhaltend ist die ihrige. Was der rechte Geschmack einmal billigt, ist immer gut; wenn es selten modisch ist, so ist es dafür niemals lächerlich; in ihrer bescheidenen Einfalt leitet sie aus den wesentlichen Verhältnissen der Dinge sichere und unwandelbare Regeln ab, welche bleiben, wenn die Moden nicht mehr sind.
Rechnen Sie endlich noch hinzu, daß Ueberfluß an blos Nothwendigem nicht in Mißbrauch ausarten kann, weil das Nothwendige sein natürliches Maß hat, und die wahren Bedürfnisse nie zu Ausschreitungen führen. Man kann das, was zwanzig Kleider kosten, in ein einziges stecken, und in einer einzigen Mahlzeit die Einkünfte eines ganzen Jahres aufessen; aber man kann nicht zwei Anzüge auf einmal tragen, und zweimal an einem Tage schmausen. So ist die herrschende Meinung schrankenlos, während die Natur uns von allen Seiten bindet, und wer in mittelmäßigen Verhältnissen sich auf das Wohlsein beschränkt, läuft nicht Gefahr, sich zu Grunde zu richten.
So. mein Lieber, fuhr der weise Wolmar fort, kann man sich mit Oekonomie und Fleiß über seinen Glückszustand erheben. Es hinge nur von uns ab, unser Vermögen zu vermehren, ohne unsere Lebensart zu verändern, denn es wird hier beinahe keine Auslage gemacht, die nicht einen Ertrag zum Zwecke hätte, und Alles, was wir ausgeben, liefert uns Mittel, noch weit mehr auszugeben.
Nun sehen Sie, Milord, nichts von dem Allen springt hier sogleich in die Augen. Ein Anstrich von Verschwendung verdeckt überall die gute Ordnung, durch welche dieselbe erst möglich geworden. Man muß sich Zeit lassen, um hinter die Luxusgesetze zu kommen, welche hier zu einem behaglichen und genußreichen Leben führen, und man hat anfangs Mühe, zu begreifen, wie es möglich ist, Genuß von dem zu haben, was man spart. Sieht man schärfer zu, so wächst die
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