Julie oder Die neue Heloise
Anordnungen wegen hinausgegangen, und als ich wieder in's Zimmer trat, fand ich vier oder fünf große Schwengel beschäftigt, mit ihm zu tändeln, und gleich bei der Hand, mir mit vieler Emphase, ich weiß nicht wie viele allerliebste Sachen wiederzuerzählen, die sie von ihm gehört hatten, und von denen sie sich ganz entzückt stellten. Meine Herren, sagte ich ziemlich trocken zu ihnen, ich zweifle nicht, daß es Ihnen ein Leichtes ist, kleinen Püppchen recht artige Sachen in den Mund zu legen, aber ich hoffe, daß meine Kinder einst zu Männern werden, und selbstständig handeln und reden werden; dann werde ich stets mit herzlicher Freudevernehmen, was sie Gutes gesagt und gethan haben. Seit man gesehen hat, daß diese Art, mir den Hof zu machen, nicht fing, spielt man mit meinen Kindern wie mit Kindern, nicht wie mit Polichinellen; sie treffen auf keine lieben Gevattern mehr, und sie sind merklich mehr werth, seit man sie nicht mehr bewundert.
Hinsichts der Fragen, so sind ihnen diese nicht ohne Ausnahme verboten; ich bin vielmehr die erste, die sie aufmuntert, ihren Vater oder mich nach Allem, was sie gern wissen möchten, leise zu fragen; aber ich leide nicht, daß sie ein ernsthaftes Gespräch unterbrechen, um alle Welt mit dem ersten besten dummen Schnack, der ihnen einfällt, zu beschäftigen. Die Kunst zu fragen ist nicht so leicht, als man denkt; es ist weit mehr die Kunst des Meisters als des Schülers. Man muß viel gelernt haben, um über das, was man nicht weiß, fragen zu können. „Der Wissende weiß und erkundigt sich," sagt ein indisches Sprichwort, „aber der Unwissende weiß nicht einmal, wonach er sich erkundigen soll." Aus Mangel an nöthiger Vorkenntniß thun Kinder, denen man Freiheit läßt, fast immer nur ungeschickte Fragen, die zu nichts führen, oder tiefe und verfängliche, deren Lösung ihre Fassungskraft übersteigt, und da sie nicht Alles wissen müssen, so ist es wichtig, daß sie nicht das Recht haben, nach Allem zu fragen. Im Allgemeinen lernen sie daher mehr durch die Fragen, die man ihnen vorlegt, als durch diejenigen, die sie selbst aufwerfen.
Wenn diese Methode ihnen so nützlich wäre, als man glaubt, wäre nicht das Erste und Wichtigste, was sie lernen müssen, die Kunst, zurückhaltend und bescheiden zu sein? Und kann es eine andere geben, die sie auf Kosten dieser lernen müßten? Was macht man ans den Kindern, wenn man ihnen, bevor sie in dem Alter sind, in welchem man zu reden versteht, das Wort läßt, und das Recht einräumt, dir Erwachsenen vorlaut in's Verhör zu nehmen? Kleine geschwätzige Frager, die weniger fragen, um sich zu belehren, als um die Leute zu belästigen, um alle Welt mit sich zu beschäftigen, und die an diesem Geschwätz noch mehr Vergnügen finden, weil sie merken, daß ihre vorwitzigen Fragen manchmal in Verlegenheit setzen, so daß Jeder unruhig wird, sobald sie nur den Mund öffnen. Das Fragen ist dann nicht sowohl ein Mittel zu ihrer Belehrung, als vielmehr sie dummdreist und eitel zu machen, und dieser Nachtheil ist, meiner Meinung nach, größer als der Vortheil, der ihnen durch das Fragen erwachsen könnte, denn wenn auch die Unwissenheit allmählig abnimmt, nimmt doch die Eitelkeit unaufhörlich zu.
Das Schlimmste, was aus zu langer Hemmung in dieser Hinsicht entstehen könnte, wäre doch nur, daß mein Sohn sich in den Jahren der Vernunft mit weniger Leichtigkeit auszudrücken wüßte, und daß ihm die Worte weniger zuströmten. Aber wenn ich bedenke, wie die Gewohnheit, sein Leben mit unnützem Gerede hinzubringen, den Geist ausleert, so möchte ich diese glückliche Wortarmuth eher als ein Gut denn als ein Uebel betrachten. Müßige Leute, die stets sich selbst zum Ekel sind, legen der Kunst Anderer, sie zu belustigen, mit Gewalt einen hohen Werth bei, und man möchte sagen, daß der gute Ton darin besteht, nur überflüssige Worte ebenso wie unnütze Geschenke zu machen; die menschliche Gesellschaft hat aber einen edleren Zweck, und ihre wahren Freuden sind gehaltvoller. Das Organ der Wahrheit, die größte Zierde des Menschen, das einzige, dessen Gebrauch ihn von den Thieren unterscheidet, ist ihm nicht gegeben, um es nicht besser anzuwenden, als diese ihr Geschrei. Der Mensch würdigt sich unter das Thier herab, wenn er spricht, um nichts zu sagen, und er soll stets, auch in seinen Zerstreuungen, Mensch bleiben. Mag die herkömmliche Höflichkeit fordern, daß man alle Welt mit leerem Geplapper betäube, ich finde mehr wahre
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