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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Gute wie in einem fremden Lande: es wundert mich nicht, daß er sich da nicht gefällt. Auf dem Dorfe muß man Bauer sein, oder gar nicht hingehen, denn was will man sonst dort? Die Pariser, welche aufs Land zu gehen meinen, geben nicht auf's Land, sie nehmen Paris mit hin. Sie schleppen ihre Sänger, ihre Schöngeister, ihre Schriftsteller, ihre Schmarotzer mit. Spiel, Musik, Komödie sind dort ihre einzige Beschäftigung
[Man muß doch die Jagd hinzurechnen; aber auch dabei machen sie es sich so bequem, daß sie nicht die halbe Anstrengung und nicht das halbe Vergnügen davon haben. Aber ich will mich hier auf das Kapitel von der Jagd nicht einlassen; es bietet zu viel Stoff dar, um in einer Note abgehandelt zu werden. Ich werde vielleicht Gelegenheit finden, mich anderswo darüber auszulassen.]
. Ihr Tisch ist wie in Paris besetzt; sie essen zu den nämlichen Stunden; man servirt dieselben Gerichte, in demselben Tafelgeschirr; sie thun durchaus nur, was sie in Paris zu thun pflegen. Hätten doch lieber dort bleiben sollen. Denn wie reich man sei, wie viel Vorkehrungen man treffen möge, dies und das entbehrt man immer; man kann eben nicht ganz Paris mit hinausnehmen. Also die Abwechselung gerade, um die es ihnen so sehr zu thun ist, rauben sie sich; sie kennen immer nur eine einzige Art zu leben, bei der sie sich beständig langweilen.
    Die Landarbeit sieht sich hübsch mit an und hat an sich nichts so Mühseliges, daß man Mitleid haben müßte. Ihre Nützlichkeit für die Gesammtheit und für das Einzelleben nimmt das Interesse in Anspruch! sodann ist sie der ursprünglichste Beruf des Menschen, sie zaubert dem Geiste angenehme Bilder und dem Herzen alle Reize des goldenen Zeitalters vor. Die Einbildungskraft bleibt nicht kalt beim Anblick des Pflügens und Erntens. Die Einfalt des Land- und Hirtenlebens hat immer etwas Rührendes. Wenn man die Wiesen mit Leuten bedeckt sieht, welche heuen und singen, und in der Ferne zerstreute Heerden, so fühlt man sich unwillkürlich das Herz bewegt, ohne zu wissen warum. So spricht die Stimme der Natur auch noch zu unserem entarteten Herzen und, wiewohl vergebliches Leid erweckend, doch immer so süß, daß man sie nicht ohne Vergnügen vernimmt.
    Ich gestehe, daß das Elend, welches in manchen Ländern auf den Dörfern herrscht, wo der Zolleinnehmer die Frucht des Bodens verzehrt, daß die schnöde Habsucht geiziger Pächter, die unbeugsame Härte unmenschlicher Herren diesem Gemälde viel von seinem Reize nimmt. Abgezehrte Pferde, die unter Schlägen fast erliegen, unglückliche Bauern, halbverhungert, von Strapazen aufgerieben und mit Lumpen bedeckt, Dörfer, die aus elenden Hütten bestehen, bieten dem Auge ein trauriges Schauspiel dar; fast möchte man bedauern Mensch zu sein, wenn man an die Unglücklichen denkt, von deren Blut man sich sättigen muß. Aber welch ein Vergnügen, gute, verständige Verwalter zu sehen, die sich durch die Bewirthschaftung ihrer Ländereien in Stand setzen, Wohlthaten zu üben, die an ihr alle ihre Freude haben, und die mit vollen Händen die Gaben der Vorsehung ausstreuen, Alles, was sie umgiebt, Menschen und Thiere mit dem Gute nähren, wovon ihre Scheuern, ihre Keller, ihre Böden strotzen, Ueberfluß und Freude um sich her verbreiten und sich aus der Arbeit, welche sie bereichert, ein immerwährendes Fest machen! Wie könnte man sich der süßen Täuschung entziehen wollen, welche diese Gegenstände hervorrufen? Man vergißt sein Jahrhundert und seine Zeitgenossen, man versetzt sich in die patriarchalischen Zeiten; man wünscht selber Hand an's Werk zu legen und die ländlichen Arbeiten und das Glück, das man an sie geknüpft sieht, zu theilen. O Zeiten der Liebe und der Unschuld, wo die Frauen zärtlich und sittig waren, und die Männer einfach und zufrieden lebten! O Rahel, reizendes und standhaft geliebtes Mädchen, glücklich der Mann, der, um dich zu gewinnen, sich vierzehn Jahre Dienstbarkeit nicht leid sein ließ! O holder Pflegling der Noemi! Glücklich der gute Alte, dessen Füße und Herz du wärmtest! Nein, nirgend herrscht die Schönheit mit größerer Macht, als unter ländlichen Beschäftigungen. Da schlagen die Grazien ihren Thron auf, einfach ist ihr Schmuck, fröhlich ihr Wesen, und wider Willen muß man sie anbeten. Verzeihung, Milord, ich bin schon wieder bei der Sache.
    Seit einem Monat hat die Herbstwärme uns eine glückliche Weinlese vorbereitet; mit dem ersten Reif ist sie eingetreten
[Man liest im Waadtlande

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