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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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ohnmächtig zurücksinkt. Clara, die ihre Tochter aufheben will, sieht ihre Freundin erbleichen; sie steht, weiß nicht, wohin sich zuerst wenden. Endlich, da sie mich Henrietten aufheben sieht, springt sie nach Julien, um der ohnmächtigen aufzuhelfen, und fällt in demselben Zustande über sie.
    Henriette, die beide regungslos liegen sieht, fängt an so zu weinen und zu schreien, daß Fanchon herbeistürzt, jene läuft zu ihrer Mutter, diese zu ihrer Frau. Ich, erschrocken, bestürzt, außer mir, lief mit großen Schritten im Zimmer hin und her, ohne zu wissen, was ich that, mit abgerissenen Ausrufungen und in einer zitternden Hast, deren ich nicht Herr werden konnte. Wolmar selbst, der kalte Wolmar, war erschüttert. O Gefühl, Gefühl, süßes Leben der Seele! Welches Herz ist so von Eisen, daß du es nie gerührt hättest? Wo ist der unglückselige Sterbliche, dem du nie Thränen entlockt hättest? Anstatt zu Julien zu eilen, warf sich der glückliche Gatte auf einen Sessel, um seine Augen gierig an dem entzückenden Schauspiel zu weiden. Seien Sie unbesorgt, sagte er, als er unsere Aufregung sah; solche Scenen der Lust und Freude erschöpfen die Natur nur einen Augenblick, um sie mit neuer Kraft zu beseelen; sie sind nie gefährlich. Lassen Sie mich das Glück genießen, das ich empfinde, und das Sie theilen. Was muß es erst für Sie sein! Ich habe nie ähnliches gekostet, und bin doch von uns Sechsen derjenige, der am wenigsten beglückt ist.
    Milord, nach diesem ersten Augenblick können Sie sich eine Vorstellung von dem Uebrigen machen. Die Vereinigung der beiden Freundinnen weckte im ganze Hause einen freudigen Widerhall und einen Aufruhr, der noch nicht gestillt ist. Julie war außer sich, war in einer Aufregung, wie ich sie noch nicht gesehen hatte; es war den ganzen Tag an nichts zu denken, als sich immer wieder und wieder anzusehen, und mit immer neuem Entzücken zu umarmen. Nicht einmal an den Apollosaal wurde gedacht, die Freude war allerwegen, man hatte nicht nöthig erst noch an ihn zu denken. Kaum am andern Tage fand sich kaltes Blut genug, um ein Fest zuzurichten. Ohne Wolmar wäre Alles drüber und drunter gegangen. Jeder schmückte sich auf's beste. Keine Arbeit war erlaubt, als solche, die zur Lustbarkeit gehörte. Das Fest wurde gefeiert, nicht mit Pracht, aber in einer wahren Raserei; es herrschte dabei ein Wirrwarr, der es rührend machte, und seine Unordnung war seine schönste Zierde.
    Der Morgen ging damit hin, Frau von Orbe in ihr Amt als Intendantin oder Oberhofmeisterin einzusetzen, und sie beeilte sich, ihre Thätigkeit anzutreten, mit einem kindischen Eifer, der uns lachen machte. Als die beiden Cousinen zum Essen in den schönen Salon traten, sahen sie auf allen Seiten ihre verschlungenen Namenszüge aus Blumen gebildet. Julie errieth im Augenblick, von wem diese Aufmerksamkeit herkam, sie umarmte mich freudig ergriffen. Clara nahm, gegen ihre alte Gewohnheit, Anstand, es ebenso zu machen. Wolmar zog deshalb auf sie los, und erröthend folgte sie dem Beispiele ihrer Cousine. Dieses Erröthen, das ich nur zu gut bemerkte, machte eine Wirkung auf mich, die ich nicht recht angeben kann, doch fühlte ich mich nicht frei von Bewegung, als sie mich in ihre Arme schloß.
    Nachmittags fand eine allerliebste Collation im Frauengemach statt, bei welcher der Hausherr und ich dieses Mal zugelassen wurden. Die Männer schossen nach der Scheibe um einen Preis, den Frau von Orbe ausgesetzt hatte. Der Neuangekommene trug den Sieg davon, obgleich er weniger Uebung hatte als die Uebrigen. Clara ließ sich über seine Geschicklichkeit kein X für ein U machen, Hans selbst täuschte sich darüber nicht, und wollte den Preis nicht annehmen; aber seine sämmtlichen Kameraden zwangen ihn dazu, eine Artigkeit, die, wie Sie denken können, nicht verloren war.
    Am Abende versammelte sich das ganze Haus, jetzt um drei Personen stärker, zum Tanze, Clara schien von der Hand der Grazien geputzt; sie war nie so glänzend gewesen als diesen Tag, sie tanzte, sie schwatzte, sie lachte, sie ertheilte ihre Befehle, sie war an allen Enden. Sie hatte geschworen, mich müde zu tanzen, und nach fünf oder sechs sehr lebhaften Contretänzen, die in einem Athem gemacht wurden, vergaß sie den gewöhnlichen Vorwurf nicht, daß ich wie ein Philosoph tanzte. Ich sagte ihr dagegen, sie tanze wie ein Kobold, sie mache nicht weniger Rumor, und mir wäre bange, daß ich Tag und Nacht nicht Ruhe vor ihr haben würde. Im

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