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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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sehr spät, weil die Haupternte in weißen Sorten besteht, denen der Reif heilsam ist.]
; die entblätterte Rebe stellt die Pracht ihrer Trauben bloß, trägt die Gaben des Vater Lyäus zur Schau und scheint die Sterblichen einzuladen, sich ihrer zu bemächtigen. Alle Weinberge, beladen mit dieser wohlthätigen Frucht, welche der Himmel den Unglücklichen darbietet, damit sie ihres Elendes vergessen, das Getöse der Faßbinder, die allerwärts an Tonnen, Kufen, Lagerfässern
[Im Original wozu Rousseau die Anmerkung macht, daß es der Name eines Stückfasses dort zu Lande sei. D. U.]
arbeiten, der Gesang der Winzerinnen, von welchem alle Hügel widerhallen, der beständige Hin- und Hergang Derer, welche die Lese zur Kelter schaffen, der rauhe Ton der bäuerischen Instrumente, welche sie bei der Arbeit aufmuntern, das liebenswürdige und rührende Gemälde einer allgemeinen Fröhlichkeit, welche in diesem Augenblick die Oberfläche der Erde zu bedecken scheint, endlich der Nebelschleier, den die Sonne am Morgen wie einen Theatervorhang aufzieht, um dem Auge das ganze reizende Schauspiel zu enthüllen, Alles vereinigt sich, um ihr ein festliches Ansehn zu geben, und dieses Fest wird bei genauerer Betrachtung nur desto schöner, wenn man bedenkt, daß es das einzige ist, bei welchem die Menschen das Angenehme mit dem Nützlichen zu paaren gewußt haben.
    Herr von Wolmar, dessen Besitz hier vorzugsweise in Weingärten besteht, hat im Voraus alle nöthigen Anstalten getroffen. Die Kufen, die Kelter, die Keller, die Fässer warten nur auf den süßen Saft, zu dessen Aufnahme sie bestimmt sind. Frau von Wolmar hat das Geschäft des Einerntens über sich genommen; die Wahl der Arbeiter, die Anordnung und Vertheilung der Arbeiten ist ihre Sache; Frau von Orbe steht den Festlichkeiten der Weinlese vor und den Auszahlungen des Tagelohns nach der festgestellten Hausordnung, deren Gesetze niemals übertreten werden. Mein Amt ist, bei der Kelter darauf zu halten, daß Juliens Anordnungen pünktlich ausgeführt werden, da ihr der Dunst der Kufen Kopfschmerzen verursacht, und Clara hat nicht verfehlt, dieser Anstellung Beifall zu geben, indem sie versicherte, dieselbe sei ganz geschaffen für einen Trinker.
    So sind die Arbeiten vertheilt und in müßigen Augenblicken hilft Jeder beim Lesen. Alle Welt ist vom frühen Morgen auf den Beinen. Man versammelt sich, um auf den Weinberg zu ziehen, Frau von Orbe, die für ihre außerordentliche Sorgsamkeit nie genug beschäftigt ist, hat zum Ueberfluß noch das Geschäft auf sich genommen, die Trägen anzutreiben und auszuschelten, und ich kann mich rühmen, daß sie sich desselben gegen mich mit der maliciösesten Wachsamkeit entledigt. Der alte Baron geht, während wir Anderen arbeiten, mit einer Flinte spazieren und holt mich von Zeit zu Zeit von den Winzerinnen weg, um mit ihm Drosseln schießen zu gehen, wobei dann die Bemerkung nicht ausbleibt, ich hätte ihn heimlich dazu aufgeredet: kurz es geht so weit, daß ich allgemach den Namen des Philosophen einbüße, um dafür mit dem des Nichtsthuers beehrt zu werden, der im Grunde nicht sehr von jenem andern verschieden ist.
    Sie sehen aus dem, was ich hinsichts des Barons bemerkt habe, daß eine aufrichtige Aussöhnung stattgefunden, und daß Wolmar Ursache hat, mit seiner zweiten Probe zufrieden zu sein
[Das wird folgender Auszug aus einem Briefe Juliens, der nicht in die Sammlung aufgenommen ist, deutlicher machen.

„Dies, sagte Herr von Wolmar, mich bei Seite nehmend, ist die zweite Probe, die ich ihm bestimmt hatte. Hätte er sich gegen Ihren Vater nicht freundlich bewiesen, so würde ich ihm nicht getraut haben. Aber, sagte ich, wie soll ich dies Freundlichthun und Ihre Probe mit der Antipathie zusammenreimen, von der Sie selbst bemerkten, daß sie zwischen ihnen obwalte? Sie existirt nicht mehr, versetzte er, Saint-Preuxhat von den Vorurtheilen Ihres Vaters das Schlimmste gelitten, was nur möglich war; er hat nichts mehr von ihnen zu fürchten, er haßt sie nicht mehr, er beklagt sie nur. Der Baron seinerseits fürchtet ihn nicht mehr, er hat ein gutes Herz, er fühlt, daß er ihm sehr wehe gethan, er hat Mitleid mit ihm, Ich sehe jetzt, daß sie sehr gut mit einander stehen und einander gern haben werden. Und von nun an baue ich unbedingt auf ihn."]
. Ich den Vater meiner Freundin hassen? Nein, wenn ich sein eigener Sohn wäre, könnte ich ihn nicht vollkommener ehren. In der That, ich kenne keinen geraderen, offeneren,

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