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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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verschaffen möge, weiß ich doch, wenn Sie bei uns sein werden, werden Sie die uns entzogene Zeit bereuen.
    Als ich Ihren Brief erhielt, kam ich zuerst auf die Vermuthung, daß ein geheimer Auftrag .... in welche würdigere Hände könnte die Unterhandlung wegen des Friedens gelegt sein? .... Aber schenken denn die Könige ihr Vertrauen tugendhaften Männern? Haben sie den Muth, die Wahrheit zu hören? .... Nein, nein, theurer Eduard, Sie sind für diesen Posten nicht gemacht, und ich denke zu hoch von Ihnen, um zu glauben, daß Sie, wären Sie nicht von Geburt Pair von England, es je geworden wären.
    Komm, Freund, dir wird in Clarens wohler sein, als am Hofe. O was für einen Winter werden wir miteinander verleben, wenn die Hoffnung, hier uns alle vereinigt zu sehen, nicht trügt! Jeder Tag dient zur Vorbereitung, indem er eine jener bevorzugten Seelen herführt, die einander so theuer, die so werth sind sich zu lieben, und die nur Sie zu erwarten scheinen, um der ganzen übrigen Welt entbehren zu können. Sie haben auf die Nachricht, welcher glückliche Zufall die Gegenpartei des Barons von Étange hier durchgeführt hat. Alles richtig vorausgesagt, was aus dieser Begegnung folgen müßte, und ganz so, wie es wirklich gekommen ist
[Man sieht, daß hier mehrere Briefe fehlen, wie dies auch an anderen Stellen der Fall ist. Der Leser wird sagen, daß man es sich mit solchen Auslassungen sehr bequem macht, und ich bin ganz seiner Meinung.]
. Dieser alte Streitbold ist zwar fast ebenso unbeugsam und halsstarrig als sein Gegner, hat aber doch dem allmächtigen Einfluß, der uns alle unterjocht, nicht widerstehen können. Nachdem er Julie gesehen, nachdem er sie gehört, nachdem er mit ihr gesprochen, hat er sich geschämt, gegen ihren Vater im Prozeß zu liegen. Er ist so günstig gestimmt nach Bern abgegangen, und der gütliche Vergleich ist gegenseitig in so gutem Gange, daß wir den Baron, seinem letzten Brief zufolge, in wenigen Tagen zurückerwarten.
    Das werden Sie schon von Herrn v. Wolmar erfahren haben; was Sie aber wahrscheinlich noch nicht wissen, ist, daß Frau v. Orbe ihre Geschäfte beendigt hat und seit Donnerstag hier ist, um nun für immer bei ihrer Freundin zu leben. Da sie mir Nachricht gegeben hatte, an welchem Tage sie ankommen würde, ging ich ihr, ohne Wissen der Frau v. Wolmar, die überrascht werden sollte, entgegen. Ich traf sie diesseits Lutri und kam mit ihr hierher zurück.
    Ich fand sie lebendiger und liebenswürdiger, als je, aber sich nicht gleich bleibend, zerstreut, nicht hörend, noch weniger antwortend, ohne Folge und in abgebrochenen Sätzen sprechend, ganz in jener Unruhe, deren man sich nicht erwehren kann, wenn man auf dem Punkte ist, das zu erlangen, was man heftig gewünscht hat. Es war jeden Augenblick, als ob sie zitterte, am Ziele noch wieder umkehren zu müssen. Ihre Abreise, obwohl lange aufgehalten, war doch zuletzt so in Eile geschehen, daß die Herrin und die Bedienten nicht gewußt hatten, wo ihnen der Kopf stand. Das Reisegepäck, welches sie mit sich führten, war in lächerlicher Unordnung, So oft die Kammerfrau die Befürchtung äußerte, dies oder das vergessen zu haben, versicherte Clara immer, sie habe es in den Kutschkasten legen lassen, und das Komische war, daß, wenn man nachsah, nicht die Probe davon zu finden war.
    Damit Julie ihren Wagen nicht höre, stieg sie in der Allee aus, rannte wie unsinnig über den Hof, und stürmte hastig die Treppe hinauf, daß sie auf dem ersten Absatz stehen bleiben, und Athem schöpfen mußte. Herr v. Wolmar kam ihr entgegen. Sie konnte kein Wort hervorbringen.
    Als die Zimmerthür geöffnet wurde, sah ich Julie gegen das Fenster gekehrt sitzen, mit der kleinen Henriette auf dem Schoße, wie sie oft pflegt. Clara hatte eine schöne Rede nach ihrer Manier ausgedacht, sentimental und ausgelassen durcheinander! aber als sie den Fuß auf die Schwelle setzte, war Rede, Ausgelassenheit, Alles vergessen, sie stiegt auf ihre Freundin zu, indem sie mit einem Jauchzen, das sich nicht beschreiben läßt, schreit: Cousine, ewig, ewig, bis zum Tode! Henriette erblickt ihre Mutter, springt und läuft ihr entgegen, indem auch sie aus allen Kräften schreit: Mamma, Mamma! und rennt so hart gegen sie an, daß die arme Kleine von dem Stoße zu Boden fällt. Diese plötzliche Erscheinung, dieser Fall, die Freude, der Schreck ergreifen Julie dergestalt, daß sie mit ausgebreiteten Armen und mit einem gellen Schrei aufspringt, im Augenblick aber

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