Julie oder Die neue Heloise
Gegentheil, sagte sie, da ist ein Mittelchen, daß Sie in einem Stück fortschlafen sollen; und im Augenblick zog sie mich wieder zum Tanze.
Sie war unermüdlich; mit Julie war es nicht ebenso, sie hatte Mühe sich aufrecht zu halten, die Kniee zitterten ihr beim Tanze, sie war zu ergriffen, um munter zu sein; oft sah man Freudenthränen aus ihren Augen fließen; sie betrachtete ihre Cousine mit wonnigen Blicken, es war ihr süß, sich einzubilden, als ob sie die Fremde sei, der das Fest gegeben würde, und Clara die Herrin vom Hause, die es veranstaltete. Nach dem Abendessen brannte ich Raketen ab, die ich aus China mitgebracht hatte und die vielen Effect machten. Wir blieben bis tief in die Nacht hinein munter. Endlich mußte man sich trennen, Frau von Orbe war müde, oder mußte es doch sein, und Julie meinte, man müsse bei Zeiten zu Bette gehen,
Allmählig stellte sich die Ruhe wieder her und die Ordnung kehrte mit ihr zurück, Clara, so toll sie ist, kann sich, wenn sie will, ein Ansehen geben, daß man Achtung haben muß. Sie besitzt viel Takt, ein feines Urtheil, den scharfen Blick Wolmar's und Juliens Gutherzigkeit. Obgleich sie außerordentlich freigebig ist, fehlt es ihr doch auch nicht an Bedachtsamkeit, und als der so jung Verwittweten das edle Amt zufiel, für ihre Tochter zu sorgen, befand sich das beiderseitige Vermögen sehr gut in ihren Händen. Es ist daher keine Ursache, zu befürchten, daß unter ihrer Aufsicht das Haus weniger gut geleitet sein werde als zuvor. Julie hat hierdurch das Vergnügen, sich ganz derjenigen Beschäftigung widmen zu können, die am meisten nach ihrem Geschmack ist, nämlich der Erziehung der Kinder, und ich zweifle nicht, daß auch Henriette dadurch, daß die eine ihrer Mütterder andern in der Wirtschaft beisteht, ausnehmend gewinnen werde. Ich sage ihrer Mütter, denn wenn man sieht, wie beide mit ihr umgehen, ist es schwer, die rechte herauszufinden, und Gäste, die wir heute bekommen haben, sind oder scheinen darüber noch in Zweifel. In der That, beide nennen sie ohne Unterschied Henriette oder mein Töchterchen. Sie nennt die eine Mamma, und die andere Mammachen. Dieselbe Zärtlichkeit herrscht von beiden Seiten: sie ist gleich folgsam gegen beide. Wenn die Damen gefragt werden, welcher sie gehöre, so antwortet jede: Mir. Wenn man Henriette fragt, so findet es sich, daß sie zwei Mütter hat Mehr als genug, um die Sache räthselhaft zu machen. Die Scharfsichtigsten entscheiden sich jedoch am Ende für Julie; Henriette, deren Vater blond war, ist blond wie sie, und gleicht ihr sehr. Eine gewisse mütterliche Zärtlichkeit drückt sich in Juliens sanften Augen noch mehr aus, als in Clarens munteren Blicken. Die Kleine nimmt bei Julien eine respectvollere Miene an, und giebt mehr auf sich Achtung. Unwillkürlich setzt sie sich öfter neben Julie, weil Julie ihr öfters etwas zu sagen hat. Man muß gestehen, daß der Schein mehr zu Gunsten Mammachens spricht, und ich habe bemerkt, daß es den beiden Cousinen so viel Vergnügen macht, die Leute sich irren zu sehen, daß der Irrthum wohl manchmal erheuchelt und zu einem Mittel benutzt werden möchte, ihnen den Hof zu machen.
Milord, in vierzehn Tagen wird Niemand mehr hier fehlen, als Sie. Und wenn Sie da sein werden, so wird man von jedem Menschen schlecht denken müssen, der es über sein Herz brächte, Tugend und Freude anderwärts auf Erden zu suchen, weil er sie in diesem Hause nicht zu finden wüßte.
Siebenter Brief.
Saint-Preux an Milord Eduard.
Seit drei Tagen setze ich jeden Abend an, um an Sie zu schreiben, aber nach arbeitsvollem Tage übermannt mich die Müdigkeit, sobald ich auf meinem Zimmer bin. Morgens mit Tagesanbruch geht es schon wieder an die Arbeit. Ein süßerer Rausch als vom Weine versetzt mein Innerstes in einen köstlichen Taumel, und ich mag Freuden, die mir ganz neu geworden, keinen Augenblick entziehen.
Ich kann mir nicht denken, daß irgend ein Ort der Welt mir mißfallen könnte, wo ich einen Umgang hätte, wie ich ihn hier finde. Aber wissen Sie, warum Clarens mir an sich selbst gefällt? Weil ich mich hier wirklich auf dem Lande fühle, und zwar so eigentlich fast zum ersten Male in meinem Leben. Der Städter versteht es nicht, das Land zu lieben, er versteht es nicht, auf dem Lande zu leben, kaum weiß er, wenn er auf dem Lande ist, was er da anfangen soll. Er verachtet die Arbeiten, die Vergnügungen des Landlebens; er kennt sie nicht: er befindet sich auf seinem eigenen
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