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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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wahr. Was Gutes an mir war, hatte ich von ihr; ich werde sie nicht wiedersehen; ich bin nun Nichts mehr. Er lächelte und umarmte mich. Beruhigen Sie sich für heute, sagte er, morgen werden Sie vernünftig sein, ich nehme die Sache auf mich. Hierauf fing er von etwas Anderem an, und machte mir den Vorschlag, sogleich abzureisen. Ich willigte ein, die Pferde wurden angespannt, wir kleideten uns an. Als wir in die Chaise stiegen, sagte Milord dem Postillon ein Wort in's Ohr, und wir fuhren ab.
    Wir saßen neben einander, ohne zu sprechen. Ich war so beschäftigt mit meinem bösen Traume, daß ich weder sah, noch hörte. Ich gab nicht einmal daraus Acht, daß der See, den ich am vorigen Tage zur Rechten gehabt hatte, jetzt zu meiner Linken war. Erst ein Rasseln auf Steinpflaster riß mich aus meiner Betäubung, und mit einem Erstaunen, das leicht zu begreifen ist, sah ich, daß wir wieder in Clarens einfuhren. Dreihundert Schritte von dem Gitter ließ Milord halten, und sagte, indem er mich bei Seite nahm: Sie sehen mein Project, es bedarf keiner Erklärung. Gehen Sie, Visionair, setzte er hinzu, mir die Hand drückend, gehen Sie und sehen Sie sie wieder. Ihr Glück, daß Sie Ihre Narrheiten nur vor Leuten sehen lassen, die Sie lieb haben! Sputen Sie sich, ich erwarte Sie. Vor Allem aber kommen Sie nicht wieder, ehe Sie nicht den heillosen Schleier zerrissen haben, der in Ihrem Kopfe gewoben ist.
    Was hätte ich sagen sollen? Ich ging, ohne zu antworten. Ich ging mit hastigem Schritt, den aber die Ueberlegung mäßigte, je näher ich dem Hause kam. Was für eine Figur sollte ich spielen? Wie konnte ich mich zu zeigen wagen? Mit welchem Vorwande diese unerwartete Umkehr beschönigen? Mit welcher Stirne sollte ich meine lächerlichen Schreckbilder auftischen, und den spöttischen Blick des muthigen Wolmar aushalten? Je näher ich kam, desto kindischer kam mir meine Furcht vor, und desto kläglicher mein unsinniges Beginnen. Indessen war ein schwarzes Vorgefühl noch nicht aus mir gewichen, und ich fühlte mich nicht ruhig. Ich ging immer vorwärts, obwohl langsam, und war schon dicht beim Hofe, als ich die Thüre des Elysiums öffnen und wieder schließen hörte. Da ich Niemanden herauskommen sah, so ging ich außen herum, und machte mich am Ufer des Baches so nahe als möglich an die Voliere, Nicht lange, so merkte ich, daß man sich ihr näherte. Ich legte das Ohr an und hörte euch beide sprechen; ohne daß es mir möglich war, ein einziges Wort zu unterscheiden, fand ich in dem Tone Ihrer Stimme etwas eigenthümlich Wehmüthiges und Zärtliches, das mir das Herz bewegte, und in der ihrigen einen sanften, liebreichen Klang, wie gewöhnlich, aber besonders ruhig und heiter, so daß ich auf der Stelle beruhigt, und aus meinem Traume wahrhaft erwacht war.
    In diesem Augenblick fühlte ich mich so verändert, daß ich mich über mich selbst und über meine eitle Furcht lustig machte. Indem ich bedachte, daß ich nur eine Hecke und einige Gebüsche zu durchbrechen brauchte, um voll Leben und Gesundheit Die zu sehen, welche ich nie wieder zu sehen gemeint hatte, schwor ich, für immer allen nächtigen Schrecken und Wahnbildern abzusagen, und entschloß mich mit Leichtigkeit, umzukehren, ohne sie von Angesicht gesehen zu haben. Clara, ich schwöre es Ihnen, nicht nur sah ich sie nicht, sondern ich war stolz darauf, daß ich sie nicht gesehen hatte, daß ich nicht bis zum äußersten Punkte schwach und leichtgläubig gewesen, und daß ich wenigstens insoweit dem Freunde Eduard's Ehre gemacht, daß ich ihn eines Traumes hatte Herr werden lassen.
    Dies ist meine Geschichte, liebe Cousine, und das letzte Bekenntniß, das ich Ihnen abzulegen hatte. Uebrigens ist uns auf unserer Fahrt nichts von Interesse begegnet: es genügt mir, Ihnen zu versichern, daß seitdem nicht nur Milord mit mir zufrieden ist, sondern, daß ich es noch mehr mit mir selbst bin, da ich meine völlige Genesung weit besser fühle, als er sie sehen kann. Um ihm nicht ein unnöthiges Mißtrauen in der Seele zurückzulassen, habe ich es ihm verhohlen, daß ich euch nicht gesehen hatte. Als er mich fragte, ob der Schleier gehoben wäre, sagte ich ohne Besinnen: Ja, und wir haben nicht weiter von der Sache gesprochen. Ja, Cousine, er ist gehoben für immer, dieser Schleier, der meine Vernunft so lange eingehüllt hat. Mit all meinem unruhigen Aufflackern ist es vorbei: ich sehe alle meine Pflichten klar vor Augen, und liebe sie. Ihr seid mir beide theurer als je,

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