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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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hört mein Schreien, sie sieht meine Thränen, mein Aechzen rührt sie, sie nimmt mit Beifall meine reine Huldigung an .... ich würde wenigstens die Hoffnung haben, mit ihr wieder vereinigt zu werden .... Aber sie lebt, sie ist glücklich .... sie lebt, und ihr Leben ist mein Tod, und ihr Glück ist meine Marter: und der Himmel, der sie mir entrissen, raubt mir noch den süßen Trost,um sie zu klagen Sie lebt, aber nicht für mich; sie lebt zu meiner Verzweiflung, Ich bin hundert Mal entfernter von ihr, als wenn sie nicht mehr wäre.
    Mit diesen traurigen Gedanken legte ich mich nieder; sie verfolgten mich in meinem Schlummer, und führten mir Leichenbilder vor die Seele. Die bitteren Schmerzen, Klagen und Tod malten sich in meinen Träumen ab, und alles Weh, das ich gelitten hatte, nahm vor meinen Augen tausend neue Formen an, um mich zum zweiten Male zu quälen. Ein Traum vor allen, der grausamste von allen, verfolgte mich hartnäckig, und alle die verworrenen Erscheinungen, von Phantom zu Phantom, gingen zuletzt wieder in ihn über.
    Ich glaubte die würdige Mutter Ihrer Freundin sterbend in ihrem Bette zu sehen, und ihre Tochter vor ihr auf den Knieen, in Thränen zerfließend, ihre Hände küssend und ihre letzten Seufzer auffangend. Diese Scene sah ich, die Sie mir früher geschildert haben, und die nie aus meinem Gedächtnisse kommen wird. O, meine Mutter! sagte Julie, mit herzzerreißendem Tone, Die, welche Ihnen das Leben verdankt, raubt es Ihnen. Ach, nehmen Sie Ihre Wohlthat zurück! Ohne Sie ist es für mich nur ein jammervolles Geschenk. Mein Kind, antwortete ihre zärtliche Mutter .... man muß sein Schicksal erfüllen .... Gott ist gerecht .... Du wirst auch Mutter werden .... Sie konnte nicht vollenden. Ich wollte die Augen auf sie heften, ich sah sie nicht mehr. Ich sah Julie an ihrer Stelle, ich sah sie, ich erkannte sie, obgleich ihr Gesicht mit einem Schleier bedeckt war. Ich stoße einen Schrei aus; ich stürze hinzu, um den Schleier wegzureißen; ich kann ihn nicht ergreifen. Ich streckte die Arme aus, arbeitete mich ab, und berührte nichts. Freund, beruhige dich, sagte sie zu mir mit schwacher Stimme; der furchtbare Schleier bedeckt mich, keine Hand kann ihn hinwegnehmen. Bei diesen Worten rege ich mich, und mache eine neue Anstrengung; von dieser Anstrengung erwache ich; ich finde mich in meinem Bette, matt und erschöpft, in Schweiß und Thränen gebadet.
    Bald zerstreut sich meine Furcht; vor Müdigkeit schlafe ich wieder ein; derselbe Traum versetzt mich in dieselbe Aufregung, ich erwache von neuem und schlafe zum dritten Male ein. Immer dasselbe Trauerspiel, immer derselbe Todesnblick, immer entweicht dieser undurchdringliche Schleier meinen Händen, und entzieht meinen Augen den sterbenden Gegenstand, den er bedeckt.
    Bei diesem letzten Erwachen war meine Angst so groß, daß ich sie auch wach nicht besiegen konnte. Ich werfe mich aus meinem Bette, ohne zu wissen, was ich thue. Ich laufe im Zimmer umher, wie ein vom Dunkel der Nacht erschrecktes Kind, glaube mich von Gespenstern umgeben, und vor den Ohren noch die klagende Stimme zu hören, deren Ton ich ja niemals ohne innere Bewegung hören konnte. Die Dämmerung, welche die Gegenstände zu erhellen anfing, verwandelte sie nur in Gestalten, wie sie meine aufgeschreckte Einbildungskraft verlangte; meine Angst steigert sich und raubt mir die Besinnung: nachdem ich mit Mühe die Thür gefunden, entfliehe ich aus meinem Zimmer, renne in Eduard's Zimmer, reiße seinen Vorhang auf, und werfe mich über sein Bett, indem ich athemlos schreie: Es ist aus, ich werde sie nicht wieder sehen! Er fährt aus dem Schlafe auf, springt nach seinen Pistolen, indem er sich von einem Diebe überfallen glaubt. Im Augenblick erkennt er mich, ich selbst erkenne mich wieder, und zum zweiten Male in meinem Leben sehe ich mich vor ihm in einer Beschämung, die Sie sich denken können.
    Er ließ mich niedersetzen, zu mir kommen, sagen, was geschehen. Sobald er wußte, was es war, wollte er die Sache in's Lächerliche ziehen; aber da er sah, daß ich mächtig ergriffen war, und daß dieser Eindruck nicht so leicht zu zerstören sein würde, änderte er den Ton. Sie verdienen weder meine Freundschaft, noch meine Achtung, sagte er ziemlich hart; wenn ich mir mit meinem Lakaien den vierten Theil der Mühe gegeben hätte, die ich mir mit Ihnen gegeben habe, so würde ich einen Mann aus ihm gemacht haben; aber Sie sind ein Nichts. Ach! sagte ich zu ihm, es ist nur zu

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