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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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aber mein Herz unterscheidet nicht mehr die eine von der anderen, und trennt die Unzertrennlichen nicht mehr.
    Wir kamen vorgestern in Mailand an; übermorgen werden wir weiter reisen. In acht Tagen gedenken wir in Rom zu sein, und dort hoffe ich Nachricht von euch vorzufinden. Wie verlangt es mich, diese beiden erstaunlichen Personen zu sehen, welche seit so langer Zeit die Ruhe des größten Menschen trüben! O Julie, o Clara, Die müßte eures Gleichen sein, die werth sein sollte, ihn glücklich zu machen.
     
Zehnter Brief.
Frau von Orbe an Saint-Preux.
    Wir alle warteten mit Ungeduld auf Nachricht von Ihnen, und ich habe nicht nöthig zu sagen, wie viel Vergnügen Ihre Briefe der kleinen Gemeinde gemacht haben; aber was Sie nicht ebenso errathen werden, ist dies, daß von dem ganzen Hause ich vielleicht diejenige bin, die sie am wenigsten erfreut haben. Alle haben erfahren, daß Sie glücklich über die Alpen sind; ich, ich habe dabei gedacht, daß Sie nun jenseits sind.
    Was die Umstände betrifft, die Sie mir erzählt haben, so haben wir dem Baron nichts davon gesagt; und einige sehr überflüssige Monologe habe ich aller Welt erlassen. Herr von Wolmar ist so fein gewesen, nur über Sie zu spotten, aber Julie hat an die letzten Augenblicke ihrer Mutter nicht denken können, ohne neue Klagen und neue Thränen; sie hat sich aus Ihrem Traume nichts herausgenommen als das, was ihren Schmerz wieder auffrischte.
    Was mich betrifft, so will ich Ihnen sagen, mein lieber Lehrer, daß es mich nicht mehr überrascht, Sie stets ganz entzückt von sich selbst zu sehen, stets mit irgend einer Thorheit eben fertig geworden und auf dem Sprunge, klug zu werden; denn schon lange bringen Sie Ihr Leben damit hin, sich den gestrigen Tag zum Vorwurfe zu machen und sich für morgen das Beste zu versprechen.
    Ich gestehe Ihnen auch, daß diese ungeheuere Anstrengung des Muthes, welche es Ihnen so nahe bei uns möglich machte, umzukehren,wie Sie gekommen waren, mir nicht so außerordentlich scheint, als Ihnen. Ich finde sie mehr eitel als vernünftig, und ich glaube, daß mir, Alles gerechnet, etwas weniger Stärke und ein Bißchen mehr Vernunft besser gefallen hätte. Dürfte man Sie, bei dieser Art, sich aus dem Staube zu machen, fragen, was Sie denn eigentlich gewollt hatten? Sie haben sich geschämt, sich zu zeigen, und gerade darüber, daß Sie sich nicht zu zeigen wagten, hätten Sie sich schämen sollen. Als ob das Vergnügen, seine Freunde zu sehen, nicht hundert Mal den kleinen Verdruß aufwöge, von ihnen ausgelacht zu werden! Mußten Sie sich nicht mehr als glücklich schätzen, uns Ihr verstörtes Gesicht zu zeigen, um uns etwas zu lachen zu geben? Wohlan denn, ich habe mich damals nicht über Sie lustig gemacht, jetzt aber mache ich mich desto mehr über Sie lustig, wenn ich auch, da mir das Vergnügen entgeht, Sie wüthend zu machen, nicht ganz so herzlich lachen kann, als ich gerne wollte.
    Leider ist nun noch ein schlimmerer Punkt dabei, nämlich daß sich Ihre Angst meiner bemächtigt hat, ohne daß ich mich so wie Sie beruhigt hätte. Ihr Traum hat etwas Schauerliches, das mir weh und bange macht, wie ich mich auch dagegen wehre. Während ich Ihren Brief las, war ich über Ihre Unruhe böse, als ich damit zu Ende war, über Ihre Zuversicht. Man sieht nicht ein, einmal, warum Sie so aufgeregt waren, das andere Mal, warum Sie so ruhig geworden sind. Was ist das für eine Wunderlichkeit, die traurigsten Ahnungen bis zu dem Augenblicke festzuhalten, da Sie sie zerstören können, und es dann nicht zu wollen! Ein Schritt, eine Geberde, ein Wort war hinreichend. Sie haben sich ohne Grund erschrecken, und sich ebenso ohne Grund beschwichtigen lassen. Aber die Angst, von der Sie sich befreit haben, ist in mich übergegangen, und so trifft es sich, daß Sie die Kraft, die Sie ein einziges Mal in Ihrem Leben hatten, auf meine Kosten haben müssen. Seit Ihrem leidigen Briefe hat mich die Herzensangst nicht verlassen. Ich kann Julie nicht nahen, ohne vor ihrem Verlust zu zittern; jeden Augenblick glaube ich auf ihrem Gesicht die Blässe des Todes zu sehen, und diesen Morgen, als ich sie in meine Arme drückte, fühlte ich mich in Thränen, ohne zu wissen warum. Dieser Schleier, dieser Schleier! Er hat etwas Grausiges, etwas das mich ängstigt, so oft ich daran denke. Nein, ich kann es Ihnen nicht verzeihen, daß Sie ihn hinwegziehen konnten, und es nicht gethan haben, und ich habe große Furcht, daß ich keinen ruhigen

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