Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
scheuen, vor seinem Bilde das zu thun, was ich sonst vor ihm that? Würde es ebenso sein, Julie, wenn ich das heilige Band zerrisse, welches uns vereinigt hielt, wenn ich mich erkühnte, einem Anderen die ewige Liebe zu schwören, die ich ihm so oft schwor, wenn mein Herz, unwürdig getheilt, seinem Andenken das entzöge, was es seinem Nachfolger gewähren würde, und nicht ohne einen von beiden zu kränken, das erfüllen könnte, was es dem anderen schuldig ist? Dasselbe Bild, das mir jetzt so theuer ist, würde mir dann nur Angst und Grauen machen. Ohne Unterlaß würde es sich einstellen, mir mein Glück vergiften, und sein Andenken, das mir mein Leben versüßt, würde mir zu einer Marter werden. Wie kannst du nur davon reden, daß ich meinem Manne einen Nachfolger geben soll, nachdem du geschworen hast, dem deinigen nie einen zu geben? Als ob die Gründe, die du mir anführst, auf dich in gleichem Falle weniger anwendbar wären! Sie waren Freunde .... Desto schlimmer! Mit welchem Unwillen würde er einen Mann, der ihm theuer war, seine Rechte usurpiren und seine Frau untreu machen sehen! Endlich, wenn es wahr wäre, daß ich ihm selbst nichts mehr schuldig bin, bin ich dem theuren Pfande seiner Liebe nichts mehr schuldig? Und darf ich annehmen, daß er mich je gemocht hätte, wenn er hätte voraussehen können, daß ich eines Tages seine einzige Tochter dem Uebel aussetzen würde, sich mit den Kindern eines Andern vermengt zu sehen?
    Noch ein Wort, und ich bin fertig. Wer hat dir gesagt, daß alle Hindernisse nur von meiner Seite kommen würden? Hast du nicht, indem du dich für Den verbürgst, der diesen Bund eingehen soll, deinen Wunsch mehr befragt, als deine Macht? Wenn du auch seiner Einwilligung gewiß wärest, würdest du kein Bedenken tragen, mir ein von einer anderen Leidenschaft abgenutztes Herz anzubieten? Glaubst du, daß das meinige sich daran genügen lassen müßte, und daß ich mit einem Manne glücklich sein könnte, den ich nicht glücklich machenwürde? Cousine, überlege es recht: ich fordere nicht mehr Liebe, als ich selbst zu fühlen fähig bin, aber das Gefühl, welches ich schenke, will ich wenigstens erwidert sehen, und ich bin eine zu gute Frau, um mich darüber hinwegsetzen zu können, daß ich meinem Manne nicht gefiele. Welche Bürgschaft hast du denn für deine Hoffnungen? Ein gewisses Sichgernesehen, das leicht eine Wirkung der bloßen Freundschaft sein kann; eine vorübergehende Wallung, die in unseren Jahren von der bloßen Verschiedenheit der Geschlechter herkommen kann: genügt das, um ihnen Grund zu geben? Wenn diese Wallung irgend ein dauerhaftes Gefühl hervorgebracht hätte, ist es glaublich, daß er darüber geschwiegen haben würde, nicht nur gegen mich, sondern gegen dich, oder deinen Mann, bei dem eine solche Aeußerung nur eine günstige Aufnahme gefunden hätte? Hat er je Jemanden ein Wort davon gesagt? Wenn wir uns allein sprachen, ist je von etwas Anderem die Rede gewesen, als von dir? Ist je von mir die Rede gewesen, wenn ihr euch allein sprachet? Kann ich mir denken, daß ich, wenn er in dieser Hinsicht ein drückendes Schweigen zu beobachten gehabt hätte, nie den Zwang bemerkt haben würde, den er sich auflegte, oder daß ihm nie ein unbedachtes Wort entfahren wäre? Endlich auch seit seiner Abreise, von welcher von uns beiden spricht er am meisten in seinen Briefen, mit welcher beschäftigt er sich in seinen Träumen? Ich wundere mich über dich, daß du mich für empfindsam und zärtlich hältst, und dir nicht denkst, daß ich mir dies Alles sagen würde. Aber ich merke wohl Ihre List, meine Kleine; um Repressalien an mir üben zu können, geben Sie mir Schuld, ehedem mein Herz auf Kosten des Ihrigen salvirt zu haben; ich lasse mich aber durch diese Wendung nicht übertölpeln.
    Das ist meine ganze Beichte, Cousine: ich habe sie abgelegt, um dich aufzuklären, nicht, um mich mit dir zu streiten. Es ist noch übrig, daß ich dir meinen Entschluß hinsichts dieser Angelegenheit erkläre. Du kennst jetzt mein Inneres ebenso gut und vielleicht noch besser als ich selbst; meine Ehre, mein Glück sind dir so theuer als mir, und da du in diesem Falle frei von Leidenschaft bist, so wird dir die Vernunft besser zeigen, wo ich beides zu suchen habe. Nimm also meine Leitung über dich; ich gebe mich ganz in deine Hände. Kehren wir in unser natürliches Verhältniß zurück, und vertauschen wieder die Rollen! Wir werden uns beide besser dabei stehen. Regiere du, ich

Weitere Kostenlose Bücher