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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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könnte ich den Himmel um ein ruhigeres Herz bitten; aber gebe er mir, daß ich bis zu meinem letzten Tage meinem höchsten Richter ein so schuldfreies Leben darbringen kann, wie das, welches ich diesen Winter geführt habe! Wahrlich, ich hatte mir nichts vorzuwerfen bei dem einzigen Manne, der im Stande war, mich strafbar zu machen. Meine Liebe, so ist es nicht mehr, seit er fort ist: indem ich mich gewöhne, in seiner Abwesenheit an ihn zu denken, denke ich alle Augenblicke an ihn, und ich finde sein Bild gefährlicher als seine Person. Wenn er fern ist, so bin ich verliebt; wenn er da ist, bin ich nur toll. Laß ihn nur wiederkommen, und ich bin außer aller Furcht.
    Zu dem Kummer über seine Entfernung gesellte sich die Unruhe über seinen Traum. Wenn du Alles auf Rechnung der Liebe gesetzt hast, so irrst du dich; die Freundschaft hatte Theil an meiner Traurigkeit. Seit seiner Abreise sah ich dich blaß und verändert. Jeden Augenblick glaubte ich dich erkranken zu sehen. Ich bin nicht abergläubisch, aber ängstlich; ich weiß wohl, daß ein Traum nicht ein Ereigniß herbeiführt, aber ich habe immer Furcht, daß ihm das Ereigniß folgen könnte. Kaum hat mir dieser verwünschte Traum eine ruhige Nacht gelassen, bis ich dich ganz wieder hergestellt und deine Farbe wiederkehren sah. Müßte auch ohne mein Wissen ein verdächtiges Interesse bei meinem Eifer mit im Spiele gewesen sein, so viel ist gewiß, ich würde Alles in der Welt darum gegeben haben, daß er sich gezeigt hätte, anstatt wie ein dummer Hans wieder umzukehren. Endlich istmeine unnütze Angst zugleich mit deinem schlimmen Aussehen verschwunden. Deine Gesundheit, dein Appetit haben mehr gethan, als deine Spöttereien, und ich habe dich bei Tische so gut gegen meine Bangigkeit argumentiren sehen, daß nun keine Spur mehr von ihr übrig geblieben ist. Zu allem Ueberstuß von Glück kommt er jetzt zurück, und ich bin in jeder Hinsicht entzückt darüber. Seine Rückkehr macht mir keine Beklommenheit, sondern stillt sie, und sobald er nur erst wieder da sein wird, werde ich sowohl für dein Leben als meine Ruhe nichts mehr fürchten. Cousine, erhalte mir nur meine Freundin, und dann sei ohne Sorgen um die deinige; ich stehe für sie, so lange sie dich hat .... Aber mein Gott, was habe ich denn, das mich noch immer ängstigt und mir das Herz zusammenschnürt, ohne daß ich weiß warum? Ach, mein Kind, wird eines Tages eine von uns die andere überleben müssen? Wehe Der, die ein so grausames Geschick trifft! Sie wird wenig werth sein zu leben, oder vielmehr, sie wird todt sein vor ihrem Tode.
    Kannst du mir sagen, warum ich mich so thöricht abängstige? Pfui über solche panische Schrecken, in denen kein Menschenverstand ist! Anstatt vom Tode zu sprechen, laß uns von der Heirat sprechen: das wird vergnüglicher sein. Dein Mann hat schon vor langer Zeit diesen Einfall gehabt, und wenn er ihn mir nicht gesagt hätte, mir selbst wäre er vielleicht nicht eingekommen. Seitdem habe ich manchmal daran gedacht, und immer mit Abscheu. Auch macht es eine junge Witwe alt! Wenn ich Kinder aus zweiter Ehe hätte, würde ich mir wie die Großmutter derer aus der ersten vorkommen. Ich finde es auch ganz einzig von dir, daß du mir nichts dir nichts deiner Freundin aufwartest, und die Sache als ein gefundenes Essen für deine Barmherzigkeit ansiehst. Schau doch! Kund und zu wissen, daß alle deine Gründe, die sich auf deine freundschaftliche Sorge um mich stützen, nicht den kleinsten von denen aufwiegen, die ich gegen eine zweite Verheiratung habe.
    Ernstlich! Ich denke nicht so klein, daß ich mit zu diesen Gründen die Scham stellte, ein übereiltes Wort zu brechen, das ich nur mir selbst gegeben habe, noch die Furcht vor Tadel, wenn ich meine Pflicht thue, noch die Ungleichheit des Vermögens in einem Falle, wo die ganze Ehre auf Seiten Dessen ist, der dem anderen Theile das seinige verdanken will; aber, ohne zu wiederholen, was ich dir so oft über meinen unabhängigen Sinn und über meine natürliche Abneigung gegen das Joch der Ehe gesagt habe, will ich nur einen einzigen Einwand erheben, und dieser bezieht sich auf jene geheiligte Stimme, vor der Niemand auf der Welt so viel Achtung hat als du. Beseitige diesen, Cousine, und ich ergebe mich. Bei allen den Spielereien, die dir so bange machen, ist mein Gewissen sehr ruhig; ich kann, ohne zu erröthen, an meinen Mann denken: ich rufe ihn gern zum Zeugen meiner Unschuld; und warum sollte ich mich auch

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