Julie oder Die neue Heloise
Meinung nach, für seine Pflicht nicht den unerschrockenen Muth, welchen dieselbe Denen einflößt, die sie lieben.
Noch andere Bemerkungen vermehrten mein Mißtrauen: ich erfuhr, daß er Laura heimlich sah, ich bemerkte zwischen ihnen Zeichen des Einverständnisses. Die Hoffnung, sich mit Dem zu verbinden, den sie so sehr geliebt hatte, machte sie nicht heiter. Ich las wohl dieselbe Zärtlichkeit in ihren Blicken, aber diese Zärtlichkeit war nicht mehr bei meinem Kommen mit Freude gepaart, die Traurigkeit war immer vorherrschend. Oft mitten in dem süßesten Ergusse ihres Herzens sah ich sie auf den jungen Mann verstohlen einen Blick werfen und dieser Blick war von einigen Thränen begleitet, die sie mir zu verbergen suchte. Endlich ging die Heimlichkeit so weit, daß ich unruhig wurde. Sie können sich vorstellen, wie erstaunt ich war. Was sollte ich denken? Hatte ich nur eine Schlange an meinem Busen gewärmt? Wie weit getraute ich mir nicht in meinem Argwohn zu gehen, und ihm sein altes Unrecht zurückzugeben! Schwache, unglückliche Geschöpfe, die wir sind! Wir selbst schaffen uns immer unsere Leiden. Warum beklagen wir uns noch über das, was wir von bösen Menschen zu dulden haben, wenn sich selbst die Guten unter einander quälen?
Alles dies trug nur dazu bei, meinen Entschluß vollends zur Reife zu bringen. Obgleich ich dieser Intrigue nicht auf den Grund schaute, sah ich doch, daß Laura's Herz immer das nämliche war und diese Probe, die sie bestand, machte sie mir nur noch theurer. Ich nahm mir vor, mich mit ihr vor dem Ausgange zu erklären; aber bis zum letzten Augenblick wollte ich damit warten, um zuvor so viel Aufschluß zu erlangen, als ich mir durch mich selbst verschaffen konnte. Was ihn betrifft, so war ich Willens, nur zu handeln, wenn ich überzeugt war, wenn ich ihn überführen konnte, kurz es zum Aeußersten kommen zu lassen, ehe ich ihm etwas sagte, oder irgend etwas Entscheidendes in Hinsicht auf ihn that, da ich einen unfehlbaren Bruch voraussah, und nicht ein gutes Naturell und zwanzig in Ehre verlebte Jahre gegen einen bloßen Ärgwohn auf das Spiel setzen wollte.
Der Marquise blieb nichts von dem verborgen, was unter uns vorging, sie hatte Spione in Laura's Kloster, und brachte so endlich in Erfahrung, daß von Heirat die Rede wäre. Es brauchte nicht mehr, um ihre Wuth zu entfesseln. Sie schrieb mir drohende Briefe; sie ließ es nicht beim Schreiben; aber da es nicht das erste Mal war, und da wir uns auf unsrer Hut hielten, so blieben ihre Versuche fruchtlos. Ich hatte nur das Vergnügen, bei Gelegenheit zu sehen, daß Saint-Preux mit seiner Person zu bezahlen wußte, und mit seinem Leben nicht geizte, um das Leben eines Freundes zu retten.
Von ihrer Wuth überwältigt, wurde die Marquise krank, und stand nicht wieder auf. Es war das Ende ihrer Martern
[Aus dem zuvor erwähnten Briefe des Lord Eduard, der nicht aufgenommen worden, ist ersichtlich, daß, seiner Ansicht nach, die Seelen der Bösen bei ihrem Tode der
Vernichtung anheimfallen.]
und ihrer Verbrechen. Ich konnte von ihrem Zustand nicht hören, ohne mich zu betrüben; ich schickte ihr den Doctor Eswin; Saint-Preux ging in meinem Namen hin: sie wollte weder den Einen noch den Anderen vorlassen; sie wollte nicht einmal von mir reden hören und stieß furchtbare Flüche aus, so oft mein Name vor ihr genannt wurde. Ich beseufzte sie und fühlte meine Wunden im Begriff aufzubrechen. Die Vernunft trug abermals den Sieg davon; aber ich wäre der niedrigste der Menschen gewesen, wenn ich an eine Heirat hätte denken können, während eine Frau, die mir so theuer gewesen, im Sterben lag. Saint-Preux, welcher fürchtete, daß ich dem Wunsche, sie zu sehen, endlich doch nicht würde widerstehen können, schlug mir die Reise nach Neapel vor, und ich willigte ein.
Am dritten Tage nach unserer Ankunft sah ich ihn mit fester, ernster Miene und einen Brief in der Hand in mein Zimmer treten. Ich rief: die Marquise ist todt! Wollte Gott! versetzte er kalt; besser todt sein als leben, um Böses zu thun! Aber nicht von ihr wollte ich mit Ihnen sprechen; hören Sie mich an! Ich verharrte in Schweigen.
Milord, sagte er zu mir, indem Sie mir den heiligen Namen Freund beilegten, lehrten Sie mich ihn führen. Ich habe die Pflicht erfüllt, die Sie mir aufgelegt haben, und da ich Sie im Begriff sah, sich zu vergessen, habe ich Sie zu sich selbst zurückrufen müssen. Sie haben eine Kette nur vermittelst einer anderen zerreißen können. Beide
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