Julie oder Die neue Heloise
verheiraten, ist nicht Allen gemein; sie ist für den Einzelnen von der Lage abhängig, in welche ihn das Schicksal gestellt hat. Für das Volk, für den Handwerker, für den Bauer, für die wahrhaft nützlichen Menschenklassen ist das Cölibat etwas Unerlaubtes; für die Stände, welche die anderen beherrschen, auf welche sich Alles unablässig bezieht, und die immer nur zu sehr in Anspruch genommen sind, ist es erlaubt und sogar zweckmäßig. Sonst entvölkert sich nur der Staat durch die Vervielfältigung Solcher, die ihm zur Last sind. Die Menschen werden stets Herrn genug haben, und es wird England eher an Pflügern fehlen als an Pairs.
Ich glaube also, daß ich in dem Stande, in welchen mich der Himmel gestellt hat, frei und mein eigner Herr bin. In meinem Alter lassen sich solche Verluste nicht wieder ersetzen, wie mein Herz sie erlitten hat. Jch widme mein Leben dem, was mir bleibt, und kann nirgend Alles besser beisammen finden als in Clarens. Ich nehme daher alle Ihre Anerbietungen an, unter der Bedingung, daß mein Vermögen mit darein gehe, damit es mir nicht unnütz sei. Nach der Verpflichtung, die sich Saint-Preux aufgelegt hat, habe ich kein anderes Mittel mehr, ihn euch zu lassen, als indem ich selbst bei euch bleibe, und wenn er dennoch zu viel sein sollte, so wird mir dies genug sein, abzureisen. Die einzige Verlegenheit, welche noch übrig bleibt, liegt in meiner Reise nach England; denn obgleich ich im Parlamente schon um allen Credit bin, reicht es für mich doch hin, Mitglied zu sein, um meine Pflicht bis an's Ende zu erfüllen; aber ich habe einen Collegen und zuverlässigen Freund, den ich für die laufenden Angelegenheiten mit meiner Stimme beauftragen kann. In Fällen, wo es mir nöthig scheinen wird, selbst anwesend zu sein, wird mich unser Zögling begleiten können, selbst mit seinen Kindern, wenn sie ein wenig größer sein werden und Sie sie uns anvertrauen wollen. Diese Reisen können für sie nur nützlich sein, und werden nicht lange genug dauern, um ihre Mutter lange in Betrübniß zu versetzen.
Ich habe Saint-Preux diesen Brief nicht gezeigt; zeigen Sie ihn Ihren Damen nicht ganz: es ist besser, daß der Plan mit dieser Probe für immer unter uns bleibt. Im Uebrigen verbergen Sie ihnen nichts, was meinem würdigen Freund Ehre macht, selbst auf meine Kosten. Adieu, theurer Wolmar. Ich sende Ihnen die Zeichnungen zu meinem Pavillon; ändern Sie, verbessern Sie nach Gefallen; aber lassen Sie gleich daran zu arbeiten anfangen, wenn es möglich ist. Ich wollte den Musiksaal wegstreichen, denn alle meine Neigungen sind erloschen, und ich habe für nichts mehr Sinn. Ich lasse ihn stehen, weil mich Saint-Preux darum bittet, der daran denkt, in diesem Saale mit Ihren Kindern zu üben. Sie erhalten hierbei auch einige Bücher zur Vermehrung Ihrer Bibliothek; aber was können Sie in Büchern Neues finden? O Wolmar! es fehlt Ihnen nichts, als in dem der Natur lesen zu lernen, um der Weiseste der Sterblichen zu sein.
Vierter Brief.
Herr von Wolmar an Milord Eduard.
Ich war auf die Entwickelung Ihrer langen Abenteuer gefaßt, lieber Bomston. Es wäre doch seltsam gewesen, wenn Sie erst Ihren Neigungen so lange selbst Widerstand geleistet, um dann warten zu müssen, daß Ihnen ein Freund zu Hülfe käme; wiewohl man, die Wahrheit zu sagen, oft schwächer ist, wenn man sich auf einen Anderen stützt, als wenn man sich nur auf sich selbst verläßt. Ich gestehe indessen, daß ich über Ihren vorigen Brief bestürzt war, in welchem Sie mir Ihre Heirat mit Laura als eine nun völlig abgemachte Sache anzeigten. Ich zweifelte an diesem Ausgange trotz Ihrer Zuversicht, und wenn meine Erwartung getäuscht worden wäre, so würde ich Saint-Preux nicht mehr angesehen haben. Ihr habt Beide gethan, was ich von Jedem von euch hoffte, und habt die Meinung, die ich mir von euch gemacht hatte, zu sehr gerechtfertigt, daß ich nicht besonders erfreut sein sollte, Sie unsere erste Verabredung wieder aufnehmen zusehen. Kommt, ihr seltenen Menschen, um das Glück dieses Hauses zu vermehren und zu theilen. Wie es mit der Hoffnung Derer, die an das andere Leben glauben, sich verhalten möge, ich mag gern dieses mit ihnen zubringen, und fühle, daß ihr mir alle, so wie ihr seid, mehr zusagt, als wenn ihr das Unglück hättet so zu denken wie ich.
Uebrigens wissen Sie, was ich Ihnen in Betreff seiner bei Ihrer Abreise sagte. Ich hatte Ihre Probe nicht nöthig, um ihn beurtheilen zu können, denn die meinige war
Weitere Kostenlose Bücher