Julie oder Die neue Heloise
genau
tabak
und nicht
taba
, ein
paré-sol
und nicht
parasol
,
avant-hier
und nicht a
vnahier
,
secrétaire
und nicht
segré-taire
, ein
lac-d'amour
,Liebessee, statt
lacs-d'amour
(Ladamur), Liebesschlinge. Ueberall das End-
s
, überall das
r
des Infinitiv; kurz ihre Sprache ist immer abgemessen, ihre Aeußerungen sind Vorträge, sie unterhalten sich, als ob sie predigten.
Das Sonderbarste ist, daß sie bei diesem dogmatischen und kalten Tone lebhaft, heftig sind, und sehr hitzige Leidenschaften haben: sie würden Sachen des Gefühls sogar recht gut ausdrücken, wenn sie nicht immer Alles sagen wollten, oder wenn sie bedächten, daß sie zu Hörern sprachen. Aber ihre Punkte, ihre Commata sind so unerträglich, sie malen dergleichen lebhafte Empfindungen so umständlich, daß man, wenn sie mit ihrer Rede fertig sind, immer gern neben oder hinter ihnen den Menschen suchen möchte, der das fühlt, was sie beschrieben haben.
Uebrigens muß ich dir bekennen, daß ich für meine gute Meinung von ihrem Herzen und ihrem guten Geschmack ein bißchen bezahlt worden bin. Ich will dir im Vertrauen sagen, daß ein hübscher Herr, der zu verheiraten ist, und sehr reich, wie man sagt, mich mit seinen Aufmerksamkeiten beehrt, und mir recht zärtliche Sachen gesagt hat, bei denen ich in der That nicht versucht war, den Urheber dessen, was er sagte, hinter ihm zu suchen. Ach, wenn er vor achtzehn Monaten gekommen wäre, was für Spaß hätte es mir gemacht, mir einen Souverän zum Sklaven anzuschaffen, und einer Magnificenz den Kopf zu verdrehen!
[Die Mitglieder des kleinen Raths oder Senats von Genf führen den Titel: magnifiques et souverains signeurs.]
Aber jetzt steht mir der meinige selbst nicht mehr gerade genug, um an dem Spiel Vergnügen zu finden, und ich fühle, daß alle meine Narrenspossen mit meiner Vernunft zum Gukuk sind.
Ich komme noch einmal auf die Leselust zurück, welche die Genfer zum Nachdenken bringt. Sie erstreckt sich auf alle Stände und macht sich bei allen zu ihrem Vortheile fühlbar. Der Franzose liest auch viel, aber er liest nur Novitäten oder vielmehr durchblättert sie, weniger um sie zu lesen, als um zu sagen, daß er sie gelesen habe. Der Genfer liest nur gute Bücher; er liest sie, er verdaut sie; er kritisirt sie nicht, aber er macht sie sich zu eigen. Kritik und Auswahl geht von Paris aus; gewählte Bücher sind fast die einzigen, welche nach Genf kommen. Die Folge davon ist, daß hier weniger bunt durcheinander und mit mehr Nutzen gelesen wird. Die Frauen bei ihrem zurückgezogenen Leben
[Man wird sich erinnern, daß dieser Brief von altem Datum ist; doch ich fürchte, daß man dies nur zu sehr erkennen werde.]
lesen ebenfalls, und man merkt es ihrem Ton an, obwohl auf andere Weise. Die schönen Madames hier sind
petites-maitresses
und Schöngeister ganz wie bei uns. Die Bürgersfrauen sogar eignen sich aus den Büchern ein wohlgesetzteres Sprechen an, und haben gewisse gewählte Ausdrücke, welche man erstaunt ist, aus ihrem Munde zu vernehmen, wie manchmal bei Kindern. Es ist all das verständige Wesen, das hier die Männer, all die Munterkeit, die die Frauen, und all der Esprit, den sie beiderseits haben, nöthig, um nicht die ersteren etwas pedantisch, und die letzteren etwas pretiös zu finden.
Gestern sah ich zwei Bürgerstöchter, recht hübsche Mädchen, gerade meinem Fenster gegenüber vor ihrem Laden mit solchem Eifer plaudern, daß ich neugierig wurde. Ich spitzte das Ohr und hörte, daß die eine von beiden lachend den Vorschlag machte, ein Tagebuch zu führen. Ja, erwiderte die andere augenblicklich, das Tagebuch alle Morgen und alle Abende die Noten zum Texte. Was sagst du dazu, Cousine? Ich weiß nicht, ob das so der Ton bei den Handwerkerstöchtern ist; aber ich weiß, daß man einen wüthenden Gebrauch von seiner Zeit machen muß, um aus dem lieben langen Tage nichts weiter machen zu können, als die Noten zu seinem Tagebuche. Wahrscheinlich hatte die kleine Person tausend und eine Nacht gelesen.
Ungeachtet des etwas schwülstigen Styles sind die Genferinnen lebhaft und pikant, und man findet hier ebenso viele starke Leidenschaften, als in einer großen Hauptstadt. In ihrem einfachen Putze zeigen sie Grazie und Geschmack; ebenso in ihrer Unterhaltung und in ihren Manieren. Da die Männer weniger galant als zärtlich sind, so sind die Frauen weniger kokett als empfindsam, und diese Empfindsamkeit giebt auch den ehrbarsten etwas Angenehmes in der Art sich zu äußern, das
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