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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Dehatten gewonnen habe, ist viel Achtung für den großen Sinn, der in dieser Stadt herrscht. Wenn man das Arbeiten aller Parteien im Staate gegen einander sieht, welche ihn im Gleichgewichte halten, so kann man nicht zweifeln, daß mehr Kunst und wahres Talent bei der Regierung dieses kleinen Freistaates aufgewendet wird, als wohl in den größten Reichen der Fall ist, wo Alles sich durch seine eigene Wucht erhält und die Staatszügel in die Hände eines Blödsinnigen gerathen könnten, ohne daß die Geschäfte aufhören würden, ihren Gang zu gehen. Ich stehe dir dafür, daß das hier nicht möglich wäre. Ich höre meinen Vater nie von allen den großen Ministern oder großen Höfen reden, ohne dabei an den armen Musikus zu denken, der auf unserer großen Orgel
[Grand Orgue. Im Originalbriefe stand Grand Orgue. Ich will hier nur für diejenigen von unseren Schweizern und Genfern, welche sich viel auf ihre correcte Sprache zugute thun, bemerken.,daß das Wort orgue im Singulier männlich, im Pluriel weiblich ist, und daß man es in beiderlei Zahl gebraucht! aber der Singulier
ist eleganter
]
in Lausanne so stolz herumpolterte, und sich für einen sehr geschickten Mann hielt, weil er viel Spektakel machte. Die Leute hier haben nur ein kleines Spinett; aber sie wissen eine gute Harmonie herauszuziehen, obgleich es oft herzlich verstimmt ist.
    Ferner will ich dir nichts sagen von .... Aber mit all dem Nichtssagen komme ich zu keinem Ende. Reden wir also von etwas, um eher ein Ziel zu finden. Der Genfer ist in der ganzen Welt derjenige, der seinen Charakter am wenigsten versteckt, und den man am schnellsten kennt. In seinen Sitten, selbst in seinen Untugenden hat er immer etwas Offenherziges. Er fühlt sich von Natur gut, und dies reicht hin, daß man sich nicht zu scheuen braucht, sich so zu zeigen, wie man ist. Er besitzt Edelmuth, richtiges Gefühl und scharfen Blick, aber er liebt zu sehr das Geld: ein Fehler, den ich auf Rechnung seiner beschränkten Lage schreibe, denn das Gebiet kann nicht zureichend sein, um die Einwohner zu ernähren.
    Daher kommt es, daß die Genfer, in Europa zerstreut, um sichzu bereichern, sich die vornehmen Manieren der Fremden angewöhnen, und die Laster derjenigen Länder, in denen sie gelebt haben
[Jetzt erspart man ihnen die Mühe, sie auswärts zu holen, man bringt sie ihnen in's Haus, R.

An
spielung auf Voltaire und dessen Bemühungen, ein Theater in Genf zu gründen. S. „Bekenntnisse" Th. 7.S. 11 ff.]
, mit ihren Schätzen triumphirend heimführen. So bringt sie der Luxus der anderen Völker zur Verachtung ihrer alten Sitteneinfalt: die stolze Freiheit scheint ihnen unedel; sie schmieden sich silberne Ketten, nicht als Fessel, aber als Zierrath.
    Hei! Bin ich nicht schon wieder in die verwünschte Politik hineingerathen! Sie verfolgt mich, sie packt mich, sie schlägt mir über dem Kopfe zusammen, ich weiß gar nicht mehr, wie ich mich vor ihr retten soll. Ich höre hier von nichts Anderem reden, außer etwa, wenn mein Vater nicht da ist, und das ist immer nur dann der Fall, wenn die Post ankommt. Wir, Kind, müssen schon überall unseren Einfluß geltend machen. Die sonstigen Gespräche sind nämlich hier zu Lande nützlich und mannigfaltig, und es ist nichts Gutes aus Büchern zu lernen, was man nicht hier in der Unterhaltung lernen könnte. Da von früher her die englischen Sitten eingedrungen waren, so haben die Männer, die hier noch etwas mehr von den Frauen abgesondert leben als bei uns, unter sich einen ernsten Ton, und im Allgemeinen mehr Solidität in ihren Reden. Aber dieser Vortheil hat auch seinen Nachtheil, der sich bald fühlbar macht. Ewig übermäßige Weitschweifigkeit, Argumente, Eingänge, auch wohl etwas Zugespitztes, ja zuweilen Bombast, selten Leichtigkeit, nie jene naive Einfachheit, welche die Empfindung mehr als den Gedanken ausdrückt, und das, was man sagt, so trefflich ins Licht stellt. Während der Franzose schreibt, wie er spricht, sprechen sie hier, wie man schreibt; sie liefern Abhandlungen, statt zu plaudern; es ist, als ob sie immer im Begriffe wären eine These zu beweisen. Sie distinguiren, disponiren, handeln die Conversation punktweise ab, sie wenden in ihrem Gespräche dieselbe Methode an, wie in ihren Büchern, sie sind Autoren und ewig Autoren. Sie sprechen, als ob sie läsen, so genau beobachten sie die Abstammung, so scharf lassen sie jeden Laut hören. Sie sprechen das Wort
marc
, das Mark, wie den Namen
Marc
, Markus; sie sagen

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