Julie oder Die neue Heloise
waren Ihrer unwürdig. Wenn es sich nur um eine ungleiche Ehe gehandelt hätte, so würde ich zu Ihnen gesagt haben: bedenken Sie, daß Sie Pair von England sind, und entweder entsagen Sie den Ehren der Welt, oder nehmen Sie Rücksicht auf die Meinung. Aber ein Band mit der Verworfenheit! .... Sie! .... Wählen Sie Ihre Gattin besser. Es ist nicht genug, daß sie tugendhaft sei, sie muß, fleckenlos sein! .... Die Frau eines Eduard Bomston ist nicht leicht zu finden. Sehen Sie, was ich gethan habe!
Hierauf stellte er mir den Brief zu. Er war von Laura. Ich öffnete ihn nicht ohne Bewegung. Sie schrieb: „Die Liebe hat gesiegt; Sie haben mich heiraten wollen; nun bin ich zufrieden. Ihr Freund hat mir meine Pflicht vorgezeichnet; ich erfülle sie ohne Klage. Indem ich Sie entehrt hätte, würde ich mich unglücklich gemacht haben; indem ich Sie Ihrem Ruhme lasse, glaube ich ihn zu theilen. Das Opfer meines ganzen Glückes, das ich einer so harten Pflicht bringe, macht mich die Schande meiner Jugend vergessen. Leben Sie wohl; im nächsten Augenblick höre ich auf in Ihrer und in meiner eigenen Gewalt zu sein. Leben Sie wohl auf ewig. O, Eduard, schleudern Sie nicht die Verzweiflung in meine Einsamkeit; erhören Sie meine letzte Bitte. Geben Sie keiner Anderen die Stelle, die ich nicht habe ausfüllen dürfen; es war ein Herz auf der Welt, für Sie geschaffen, und dies Herz schlug in Laura."
Die Erschütterung raubte mir die Sprache. Er benutzte mein Schweigen, um mir zu sagen, daß sie nach meiner Abreise in dem Kloster, in welchem sie Kostgängerin war, den Schleier genommen hatte; daß der römische Hof, benachrichtigt, daß sie einen Lutheraner hätte heiraten sollen. Befehle gegeben hatte, um zu verhüten, daß ich sie wiedersähe, und er gestand mir offen, daß er alle diese Vorkehrungen in Gemeinschaft mit ihr getroffen hatte. Ich widersetzte mich Ihren Projecten, fuhr er fort, nicht so lebhaft, als ich gekonnt hätte, weil ich, eine Rückkehr zur Marquise fürchtete und Ihnen diese alte Leidenschaft durch die für Laura hatte aus dem Sinne bringen wollen. Als ich Sie weiter gehen sah, als dazu nöthig war, ließ ich zuerst die Vernunft sprechen; aber da ich durch meine eigene Erfahrung nur zu großes Recht hatte, mich nicht auf sie zu verlassen, so sondirte ich Laura's Herz, und da ich in ihm all den Edelmuth fand, der von wahrer Liebe unzertrennlich ist, so nahm ich meinen Vortheil wahr und bestimmte sie zu dem Opfer, das sie gebracht hat. Die Gewißheit, kein Gegenstand Ihrer Verachtung mehr zu sein, hob ihr den Muth und machte sie erst Ihrer Achtung würdig. Sie hat ihre Pflicht gethan; thun Sie die Ihrige.
Hierauf näherte er sich mir in großer Bewegung, und sagte, indem er mich an seine Brust drückte: Freund, ich lese in dem gleichen Schicksal, das der Himmel über uns verhängt hat, das gleiche Gesetz, welches er uns vorschreibt. Das Reich der Liebe liegt dahinten, das der Freundschaft beginnt; nur noch ihre geheiligte Stimme vernimmt mein Herz, es kennt keine andere Fessel mehr, als die mich an dich bindet. Wähle den Ort, an welchem du leben willst: Clarens, Oxford, Paris, London oder Rom; jeder ist mir recht, wenn wir nur mit einander leben. Gehe, komme, wohin du willst; suche ein Asyl, wo es sein möge, ich werde dir überallhin folgen; feierlich gelobe ich es im Angesichte des lebendigen Gottes, ich verlasse dich nicht mehr bis zum Tode.
Ich war gerührt. Der Eifer und die Glut dieses feurigen jungen Mannes flammten in seinen Augen. Ich vergaß die Marquise und Laura. Was auf der Welt hat man verloren, wenn man noch einen Freund hat? Ich sah zugleich an dem Entschlusse, den er gefaßt hatte, daß er wirklich vollkommen genesen war, und daß Sie Ihre Mühe nicht fruchtlos verschwendet hatten; ich durfte nach dem Gelübde, mir anzuhängen, das er so freudig ablegte, mit Zuversicht glauben, daß er der Tugend noch mehr anhing als seinen alten Neigungen. Ich kann ihn Ihnen also vertrauensvoll wieder zuführen. Ja, theurer Wolmar, er ist würdig, Mensehen zu erziehen, und was mehr ist, Ihr Haus zu bewohnen.
Wenige Tage nachher erfuhr ich den Tod der Marquise. Sie war für mich schon lange todt. Dieser Verlust rührte mich nicht. Bis dahin hatte ich die Ehe wie eine Schuld angesehen, die jeder bei der Geburt gegen die Gattung, gegen sein Vaterland eingeht, und ich war entschlossen, mich zu verheiraten, weniger aus Neigung als aus Pflicht. Ich bin jetzt anderer Meinung. Die Verpflichtung, sich zu
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