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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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gemacht, und ich glaube ihn zu kennen, wie nur ein Mensch den anderen kennen kann. Ich habe zudem mehr als Einen Grund, auf sein Herz zu bauen, und weit bessere Bürgschaften für ihn, als ihn selbst.
    Obgleich er Ihnen hinsichts der Verzichtung auf die Ehe nachfolgen zu wollen scheint, werden Sie hier doch vielleicht Anlaß finden, ihn auf andere Meinung zu bringen. Ich werde mich nach Ihrer Rückkehr näher erklären.
    Was Sie betrifft, so finde ich Ihre Distinction über das Cölibat ganz neu und sehr subtil. Ich halte sie sogar für klug von Seiten der Politik, welche die beziehentlichen Kräfte des Staats abwägt, um in ihm das Gleichgewicht zu erhalten; aber ich weiß nicht, ob in Ihren Prinzipien diese Gründe einen hinlänglichen Stützpunkt haben, um die Einzelnen von ihrer Pflicht gegen die Natur freizusprechen. Es möchte scheinen, daß das Leben ein Gut ist, welches man nicht empfängt, außer gegen die Verpflichtung, es weiter zu geben, eine Art Substitution, welche von Geschlecht auf Geschlecht übergehen muß, und daß Jeder, wie er einen Vater hat, so auch verpflichtet ist, es selbst zu werden. Dies war bisher Ihre Meinung. Es war einer der Gründe, die Sie zu Ihrer Reise bestimmten; aber ich weiß, woher Ihnen diese neue Philosophie kommt, und ich habe in Laura's Billet ein Argument gefunden, dem Ihr Herz nichts entgegenzusetzen hat.
    Cousinchen ist seit acht oder zehn Tagen in Genf bei ihrer Familie, um Einkäufe und Anderes zu besorgen. Wir erwarten sie täglich zurück. Ich habe meiner Frau von Ihrem Briefe so viel mitgetheilt, als sie wissen mußte. Wir hatten durch Herrn Miol erfahren, daß die Heirat abgebrochen war; aber sie wußte noch nicht, welchen Antheil Saint-Preux an diesem Ausgange gehabt. Seien Sie überzeugt, daß sie immer nur mit der lebhaftesten Freude Alles erfahren wird, was er thut, um Ihre Wohlthaten zu verdienen und Ihre Achtung zu rechtfertigen. Ich habe ihr die Zeichnungen zu Ihrem Pavillon gezeigt: sie findet sie sehr geschmackvoll. Wir werden jedoch einige Abänderungen darin vornehmen, welche das Local nöthig macht und wodurch Ihre Wohnung bequemer wird; Sie werden gewiß damit einverstanden sein. Wir erwarten noch Clara's Meinung, ehe wir Hand anlegen, denn Sie wissen, daß ohne sie nichts gethan werden darf. Einstweilen habe ich die Arbeiten schon beginnen lassen und ich hoffe, daß die Maurerarbeit bis zum Winter schon bedeutend vorgerückt sein wird.
    Ich danke Ihnen für die Bücher; aber ich lese keine mehr, die ich verstehe, und es ist zu spät, um noch diejenigen lesen zu lernen, die ich nicht verstehe. Ich bin indessen weniger unwissend, als Sie mich beschuldigen. Das wahre Buch der Natur ist für mich das Herz der Menschen, und der Beweis, daß ich darin zu lesen verstehe, liegt in meiner Freundschaft für Sie.
     
Fünfter Brief.
Frau v. Orbe an Frau v. Wolmar.
    Ich habe viel Herzeleid, Cousine, im Geleite meines hiesigen Aufenthaltes. Das schwerste ist, daß er mir Lust macht, länger hier zu bleiben. Die Stadt ist reizend, die Bewohner sind gastlich und gesittet, und die Freiheit, die ich über Alles liebe, scheint sich hierher geflüchtet zu haben. Je mehr ich diesen kleinen Staat betrachte, desto mehr finde ich, daß es schön ist, ein Vaterland zu haben, und Gott bewahre Alle vor Uebel, die eines zu haben meinen, und nur ein Geburtsland haben. Was mich betrifft, so fühle ich, wenn ich hier geboren wäre, würde ich eine wahre Römerseele haben. Ich dürfte jetzt indeß nicht mit zu vieler Dreistigkeit sagen:
Rome n'est plus à Rome, elle est toute où je suis;

    [Rom ist nicht mehr in Rom; wo ich bin, ist es ganz.]
    denn ich muß fürchten, daß du in deiner Malice das Gegentheil dächtest. Aber warum denn Rom, und immer Rom? Bleiben wir doch in Genf! Ich will dir von der Landschaft nichts sagen. Sie gleicht der bei uns, nur daß sie weniger bergig ist, mehr ländlich, und daß sie keine Chalets so in der Nähe hat. Auch über die Regierungsform will ich dir nichts sagen. Wenn dir Gott nicht gnädig ist, wird dich mein Vater schon des Weiteren berichten; er thut den ganzen Tagnichts als mit den Beamten politisiren, und ist seelensvergnügt dabei; ich sehe ihn schon im Geiste höchlichst unerbaut davon, daß in der Zeitung so wenig von Genf steht. Du kannst an meinen Briefen sehen, wie viel sie zu verhandeln haben. Wenn es mir zu bunt wird, schleiche ich mich fort, und langweile dich, um mir die Langeweile zu vertreiben.
    Was ich mir aus ihren langen

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