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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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es fühlen, sich deshalb glücklich preisen, die Tage mit einander in brüderlicher Vertraulichkeit und in Unschuld hinbringen, sich mit einander beschäftigen, ohne Gewissensbisse an einander denken, ohne Erröthen von einander sprechen und sich in seinen eigenen Augen ehren durch dieselbe Neigung, die man sich so lange zum Vorwurf gemacht — dies ist der Punkt, den wir erreicht haben. O Freund! welche Bahn der Ehre haben wir bereits durchlaufen! Freuen wir uns dreist des Gelungenen, um uns anzufeuern, uns auf ihr zu behaupten, und sie zu vollenden, wie wir sie begonnen haben.
    Wem verdanken wir ein so seltenes Glück? Sie wissen es. Ich habe Ihr empfindsames Herz, voll von den Wohlthaten des Besten der Menschen, sich mit Lust den Gefühlen der Erkenntlichkeit hingeben sehen. Und wie sollten uns diese Wohlthaten zur Last sein, Ihnen und mir? Sie legen uns keine neuen Pflichten auf; sie machen uns nur die noch theurer, die uns schon so heilig waren. Das einzige Mittel, uns für das, was er an uns gethan hat, erkenntlich zu bezeigen, ist, daß wir uns dessen würdig erweisen, und er erwartet keinen anderen Lohn, als den Erfolg seiner Bemühungen. Weiter haben wir in dem Eifer unserer überwallenden Herzen nicht zu gehen: vergelten wir unserem Wohlthäter seine Tugenden durch die unsrigen, das ist Alles, was wir ihm schuldig sind. Er hat genug für uns und für sich gethan, wenn er uns uns selbst zurückgegeben hat. Abwesend oder gegenwärtig, lebend oder todt, werden wir überall ein Zeugniß ablegen, das für keinen von uns Dreien verloren sein wird.
    Ich stellte diese Betrachtungen schon damals bei mir an, als Ihnen mein Mann die Erziehung meiner Kinder zudachte. Als Milord Eduard mir seine und Ihre nahe Rückkehr ankündigte, fanden sich dieselben Betrachtungen wieder ein mit noch anderen, die es verlohnt, Ihnen mitzutheilen, solange es noch Zeit dazu ist.
    Nicht um mich handelt es sich dabei, sondern um Sie; ich glaube mich mehr berechtigt, Ihnen Rathschläge zu geben, seit dieselben durchaus uneigennützig sind, und, da sie nicht mehr meine Sicherheit zum Gegenstande haben, sich ganz nur auf Sie beziehen.
    Sie setzen in meine zärtliche Freundschaft keinen Zweifel, und ich habe nur zu viel Erfahrungen gemacht, um nicht für meine Meinung Gehör in Anspruch nehmen zu dürfen.
    Erlauben Sie mir, Ihnen die Lage auszumalen, in welche Sie kommen werden, damit Sie sich selbst prüfen, ob in derselben nichts ist, was sie erschrecken könnte. O guter junger Mann, wenn Sie die Tugend lieben, hören Sie mit keuschem Ohre die Rathschläge Ihrer Freundin an. Sie beginnt mit Zittern eine Auseinandersetzung, die sie gern vermeiden möchte; aber wie könnte sie schweigen, ohne Sie zu verrathen? Würde es Zeit sein, die Gegenstände in's Auge zu fassen, die Sie zu fürchten haben, wenn Sie erst von ihnen umstrickt sind? Nein, mein Freund, ich bin die einzige Person auf der Welt, welche vertraut genug mit Ihnen ist, um sie Ihnen vorzuhalten. Habe ich nicht das Recht, mit Ihnen im Nothfalle wie eine Schwester, wie eine Mutter zu reden? Ach! könnten Lehren, die aus einem redlichen Herzen kommen, das Ihrige beflecken, dann hätte ich Ihnen schon lange keine mehr geben dürfen.
    Ihre Laufbahn, sagen Sie, ist beschlossen: aber gestehen Sie, daß sie vor der Zeit beschlossen ist. Die Liebe ist erloschen. Die Sinne überleben sie, und deren Raserei ist um so mehr zu fürchten, da nach der Ertödtung des einzigen Gefühls, das sie in Schranken hielt, für Den, der nun an nichts mehr hängt, jede Gelegenheit eine Gelegenheit zum Falle ist. Ein Mann von glühender Empfindung, jung und unverheiratet, will enthaltsam und keusch leben; er weiß, er fühlt, er hat es tausendmal gesagt, daß die Seelenstärke, welche alle Tugenden gebiert, nicht ohne die Reinheit bestehen kann, die ihre beständige Erhalterin ist. Wenn ihn in seiner Jugend die Liebe vor Unsittlichkeit bewahrte, so will er nun, daß ihn die Vernunft zu allen Zeiten davor bewahre; er weiß, daß den schwer zu erfüllenden Pflichten ein Lohn gewiß ist, der für die Strenge ihres Dienstes entschädigt, und wenn es Kämpfe kostet, wenn man sich besiegen will, wird er heute weniger für den Gott thun, den er anbetet, als einst für die Geliebte, der er diente? Dies, wie mich dünkt, sind die Grundsätze, welche Ihnen Ihre Moralität an die Hand giebt: sie werden also auch Ihrem Betragen zur Richtschnur dienen, denn Sie haben stets solche Menschen verachtet, die, mit dem Scheine

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