Julie oder Die neue Heloise
Entgegnung, die Sie zufriedenstellen kann, und auch ich bin zufrieden; haben Sie den Muth, sich auf sich zu verlassen, und ich verlasse mich auf Sie. Sagen Sie mir, ich bin ein Engel, und ich empfange Sie mit offenen Armen.
Wie? Immer Entbehrungen und Leiden? Immer grausame Pflichten erfüllen? Immer Diejenigen meiden, die uns theuer sind?Nein, mein liebenswürdiger Freund, glücklich, wer schon in diesem Leben der Tugend einen Lohn darbieten kann! Und ich weiß einen solchen, eines Mannes würdig, der für sie zu kämpfen und zu leiden wußte. Wenn ich mir nicht zu viel einbilde, so wird der Lohn, den ich Ihnen zu bestimmen mich erkühne, Alles abtragen, was mein Herz dem Ihrigen schuldig ist, und Sie werden mehr haben, als Sie gehabt haben würden, wenn der Himmel unsere erste Neigung gesegnet hätte. Da ich Sie nicht selbst zum Engel machen kann, will ich Ihnen einen geben, der Ihre Seele in Schutz nehme, sie reinige und neu belebe, und unter dessen Obhut Sie mit uns in dem Frieden der Seligen werden leben können. Sie werden, glaube ich, nicht viel Mühe haben, zu errathen, wen ich meine: den Gegenstand, dem fast schon im voraus eine Stätte in dem Herzen bereitet ist, das er eines Tages ausfüllen soll, wenn mein Plan glückt.
Ich sehe alle Schwierigkeiten, die sich diesem Plane entgegenstellen, ohne mich dadurch abschrecken zu lassen, denn es paßt Alles zu schön. Ich bin mir bewußt, was ich über meine Freundin vermag, und ich fürchte nicht meinen Einfluß zu mißbrauchen, wenn ich ihn zu Ihren Gunsten anwende. Aber ihre Entschlüsse sind Ihnen bekannt, und ehe ich daran denken kann, diese zu erschüttern, muß ich mich Ihrer Bereitwilligkeit gewiß gemacht haben, damit ich, wenn ich sie ermahne, Ihnen die Bewerbung um sie zu erlauben, für Sie und Ihre Gefühle bürgen kann; denn wenn die Ungleichheit, welche das Schicksal zwischen euch beide gestellt hat, Ihnen das Recht raubt, sich selbst anzubieten, so erlaubt sie noch weniger, daß Ihnen dieses Recht bewilligt werde, ehe man weiß, ob Sie davon werden Gebrauch machen wollen.
Ich kenne die Größe Ihres Zartgefühls, und wenn Sie mir Einwendungen zu machen haben sollten, so weiß ich, daß dieselben sich mehr auf sie als auf Sie selbst beziehen werden. Aber lassen Sie dergleichen eitle Bedenken fahren! Werden Sie denn wohl auf die Ehre meiner Freundin eiferfüchtiger sein, als ich? Nein, wie theuer Sie mir auch sein mögen, fürchten Sie nicht, daß ich Ihr Interesse ihrem Ruhme vorziehen werde. Aber so großen Werth ich auf die Achtung vernünftiger Leute lege, ebenso sehr verachte ich die vorschnellen Urtheile der Menge, welche sich durch einen falschen Glanz blenden läßt und nicht sieht, was wahrhaft ehrenwerth ist. Wäre der Abstand hundertmal größer, es giebt keinen Rang, zu welchem Talente und Sittlichkeit nicht emporzustreben volles Recht hätten, und wie dürfte eine Frau Den als Gatten zurückweisen, dessen Freundschaft sie sich zur Ehre schätzt? Sie wissen, wie in dieser Hinsicht unser beider Grundsätze sind. Falsche Scham und Furcht vor Tadel führen öfter zu schlechten, als zu guten Handlungen, und die Tugend hat nur über das zu erröthen, was schlecht ist.
Was Sie betrifft, so könnte der Stolz, den ich manchmal an Ihnen gefunden habe, nicht übler angebracht werden, als bei dieser Gelegenheit,und es wäre von Ihrer Seite eine Undankbarkeit, sich vor einer Wohlthat mehr von ihr zu fürchten. Und dann, wie schwierig Sie auch sein mögen, gestehen Sie, daß es immer noch schicklicher und süßer ist, sein Vermögen seiner Frau zu verdanken, als seinem Freunde, denn man wird der Beschützer der einen und der Schützling des andern, und was man auch sagen möge, ein braver Mann wird nie einen bessern Freund haben, als seine Frau.
Sollte etwa im Grunde Ihrer Seele noch ein Widerwille zurückgeblieben sein, ein neues Bündniß einzugehen, so können Sie um Ihrer Ehre und meiner Ruhe willen sich nicht genug beeilen, diesen auszurotten, denn ich werde nie mit Ihnen und mit mir zufrieden sein, ehe Sie nicht in Wahrheit der Mann sind, der Sie sein müssen, und die Pflichten lieben, die Sie zu erfüllen haben. Ei. Freund, ich sollte wohl weniger einen solchen Widerwillen fürchten, als eine zu sehr mit unserer alten Neigung sich verknüpfende Zuvorkommenheit! Was thue ich nicht, um meine Schuld gegen Sie abzutragen! Ich halte noch mehr, als ich versprochen hatte! Ist es nicht auch Julie, die ich Ihnen gebe? Werden Sie nicht den besseren
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