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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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achtungswerth macht, und hat nur noch mehr Unrecht darin, daß er nicht seinem Vaterlande mit seinen Verdiensten Ehre macht.
    Wie habgierig er auch sein möge, durch gemeine, servile Mittel sieht man ihn nicht dem Glücke nachjagen; er liebt es nicht, sich an die Großen zu hängen und an Höfen zu kriechen. Persönliche Knechtschaft ist ihm nicht minder verhaßt, als bürgerliche Knechtschaft. Geschmeidig und anschmiegend wie Alcibiades, hat er auch die Liebe zur Unabhängigkeit mit diesem gemein, und wenn er sich fremden Gebräuchen fügt, so ahmt er dieselben nach, ohne sich zu ihrem Sklaven zu machen. Da der Handel von allen Mitteln, sich zu bereichern, dasjenige ist, welches sich am besten mit der Freiheit verträgt, so ist es bei den Genfern auch das beliebteste. Sie sind fast alle Kaufleute oder Bankiers, und dieses Hauptziel ihrer Wünsche macht, daß sie oft seltene Talente vergraben, mit denen sie die Natur beschenkt hat.
    Dies führt mich auf den Anfang meines Briefes zurück. Sie besitzen Genie und Muth, Lebendigkeit und Scharfblick, es giebt nichts Großes und Ehrenwerthes, das ihnen unerreichbar wäre, aber von mehr Leidenschaft für das Geld als für den Ruhm eingenommen, wollen sie, um in Fülle zu leben, lieber in Dunkelheit sterben, und hinterlassen ihren Kindern statt alles Beispiels nur die Liebe zu den Schätzen, die sie ihnen erworben haben.
    Ich habe dies Alles von Genfern selbst, denn sie sprechen von sich sehr unparteiisch. Was mich betrifft, so weiß ich nicht, wie sie auswärts sind, aber ich finde sie bei sich zu Hause liebenswürdig, und weiß nur ein einziges Mittel, um Genf ohne Bedauern zu verlassen. Was für ein Mittel, Cousine? Nichts da, nichts da! Nimm du nur immer deine demüthige Miene an: wenn du sagst, daß du es nicht schon errathen hättest, so lügst du. Uebermorgen schifft sich die freudige Truppe in einer hübschen, festlich geputzten Brigantine ein; denn der Jahreszeit wegen, und um alle beisammen zu bleiben, haben wir dem Wasser den Vorzug gegeben. Wir gedenken denselben Abend in Morges zu übernachten, den andern Tag zur Trauung in Lausanne
[Wie? Lausanne liegt ja nicht am Ufer des Sees; es ist vom Hafen bis zur Stadt eine halbe Meile sehr schlechten Weges, und dann müßte man annehmen, daß alle diese schönen Arrangements nicht vom Winde vereitelt würden.]
, und den dritten .... Du verstehst mich. Wenn du von fern wirst Flammen leuchten, Wimpel wehen sehen, wenn du die Kanonen brüllen hören wirst, dann lauf wie eine Tolle durch das ganze Haus und schreie: Zu den Waffen! zu den Waffen! Der Feind! Der Feind!
    N. S. Obgleich die Vertheilung der Logis unbestreitbar in mein Departement gehört, so will ich mich doch für dies Mal meiner Rechte begeben. Ich bedinge mir nur aus, daß mein Vater bei Milord Eduard zu wohnen komme, wegen der Landkarten, und daß man die ganzen Wände des Zimmers noch besser von oben bis unten damit austapeziere.
     
Sechster Brief.
Frau v. Wolmar an Saint-Preux.
    Mit welcher Wonne beginne ich, diesen Brief! Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich an Sie schreiben kann, ohne mich zufürchten oder zu schämen. Ich rechne mir die Freundschaft, die uns verbindet, zur Ehre, wie einen beispiellosen Sieg über sich selbst. Heftige Leidenschaften erstickt man wohl, selten läutert man sie. Vergessen, was uns theuer war, wenn die Ehre gebeut, ist eine Anstrengung, die sich jede redliche Seele abgewinnt; aber nachdem man gewesen ist, was wir waren, das zu werden, was wir jetzt sind, ist der wahre Triumph der Tugend. Das, was dazu bewegt, der Liebe zu entsagen, kann ein Laster sein; was eine zärtliche Liebe in eine nicht minder zärtliche Freundschaft umwandelt, ist sicher unzweideutig.
    Würden wir je mit unseren eigenen Kräften so weit gelangt sein? Nie, nie, mein Freund; auch nur der Versuch dazu wäre Tollkühnheit gewesen. Uns zu meiden, war das erste Gebot der Pflicht, von welchem uns nichts hätte freisprechen können. Wir würden uns stets einander werth gewesen sein, das ist kein Zweifel; aber wir würden aufgehört haben uns zu sehen, uns zu schreiben, würden uns angestrengt haben, nicht mehr an einander zu denken, und wir hätten uns gegenseitig nicht höher ehren können, als durch völliges Abbrechen jedes Verkehrs.
    Und nun, statt dessen, diese unsere gegenwärtige Lage! Giebt es eine angenehmere auf der Welt, und schmecken wir nicht tausendmal des Tages den Lohn der Kämpfe, die sie uns gekostet hat? Sich sehen, sich lieben,

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