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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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gleichgültige Sache. Der Pastor sprach von dem falschen Verstande, in welchem das Christenthum aufgefaßt würde, wenn man es zu einer Religion der Sterbenden, und seine Diener zu Menschen von trauriger Vorbedeutung mache. Man betrachtet uns, sagte er, wie Todesboten, weil man in der bequemen Meinung, daß eine Viertelstunde der Reue hinreiche, um fünfzig Jahre der Missethat auszutilgen, uns zu anderen Zeiten außer dieser nicht zu sehen liebt. Wir müssen uns in eine Trauerfarbe kleiden; wir müssen uns eine finstere strenge Miene beilegen; man spart nichts, um uns zu Schreckgestalten zu machen. In den anderen Culten ist es noch schlimmer. Ein Katholik, welcher stirbt, ist nur von Gegenständen umgeben, die ihn ängstigen, und von Ceremonien, die ihn gleichsam lebendig begraben. Bei der Mühe, die man sich giebt, die bösen Geister hinwegzuscheuchen, glaubt er sein Zimmer von ihnen erfüllt zu sehen; er stirbt hundertfach aus Furcht, ehe man ihm den Rest giebt; und in diesen Zustand von Grauen liebt es die Kirche ihn zu versetzen, um desto mehr aus seinem Beutel zu ziehen. Danken wir dem Himmel, sagte Julie, daß wir nicht in einer solchen feilen Religion geboren sind, welche die Leute tödtet, um sie zu beerben, und indem sie das Paradies dem Reichen verkauft, auch noch in die andere Welt hinein die ungerechte Ungleichheit versetzt, welche in dieser herrscht. Ich zweifle nicht, daß all dergleichen grasse Vorstellungen dem Unglauben Nahrung geben, und einen natürlichen Abscheu vor dem Cultus erregen, welcher sie unterhält. Ich hoffe, sagte sie mit einem Blick auf mich, daß Der, welcher unsere Kinder erziehen soll, entgegengesetzte Grundsätze befolgen, und ihnen nicht durch beständige Beimischung von Todesgedanken die Religion schreckhaft und traurig machen wird. Wenn er ihnen lehrt, gut zu leben, werden sie auch gut genug sterben lernen.
    Der Verfolg dieser Unterredung, die nun aber weniger gedrängt und häufiger unterbrochen war, als ich sie Ihnen mittheile, gab mir allen noch fehlenden Aufschluß über Juliens Grundsätze und über das Benehmen, welches mir anstößig gewesen war. Alles hing damit zusammen, daß sie, ihren Zustand völlig verzweifelt fühlend, nur noch daran dachte, die unnützen und schaurigen Anstalten, mit welchen man Sterbende zu umringen und zu ängstigen pflegt, von sich fern zu halten: sei es, um unsere Betrübniß hinwegzutäuschen, sei es, um sich selbst ein ohne allen Zweck traurig stimmendes Schauspiel zu ersparen.
    Der Tod, sagte sie, ist schon so peinlich, warum soll man ihn noch häßlicher machen? Die Mühe, welche Andere daran vergeuden, sich ihr Leben noch verlängern zu wollen, wende ich dazu an, das meinige bis zum letzten Augenblicke zu genießen: es kommt nur darauf an, daß man sich in die Sache zu schicken wisse, alles Uebrige geht von selbst. Soll ich aus meinem Zimmer ein Hospital, etwas Widriges und Peinigendes machen, währendes doch meine letzte Sorge ist, Alles, was ich lieb habe, um mich zu sammeln? Wenn ich die schlechte Luft im Zimmer stocken lasse, werde ich meine Kinder daraus fern halten müssen, oder ihre Gesundheit in Gefahr setzen. Wenn ich in einem Aufzuge bleibe, um Furcht zu machen, so wird mich Niemand erkennen, ich werde nicht mehr die nämliche Person sein, ihr werdet euch alle erinnern, daß ihr mich geliebt habt, und werdet mich nicht ansehen können; ich werde noch lebend den schrecklichen Anblick des Grauens haben, das ich Anderen, selbst meinen Freunden einflöße, als ob ich schon todt wäre. Statt dessen habe ich es so zu machen gewußt, daß ich mein Leben ausdehne, ohne es zu verlängern. Ich bin, ich liebe, ich werde geliebt, ich lebe bis zum letzten Seufzer. Der Augenblick des Todes ist nichts, das natürliche Uebel ist eine Kleinigkeit; diejenigen, welche nur von der Meinung herrühren, habe ich verbannt.
    Dies und Aehnliches sprach die Kranke; auch der Pastor sprach, und manchmal der Arzt, Fanchon und ich; Frau v. Orbe war beständig zugegen, mischte sich aber nicht in das Gespräch. Sie gab auf die Bedürfnisse ihrer Freundin Acht, und war im Augenblicke bei der Hand, sie zu bedienen. Außerdem saß sie unbeweglich und fast leblos da, sahsie an, ohne ein Wort zu sprechen, und ohne ein Wort von dem zu hören, was gesprochen wurde.
    Da ich fürchtete, daß Julie bis zur Erschöpfung sprechen möchte, so nahm ich einen Augenblick wahr, da der Geistliche und Arzt mit einander zu reden anfingen, und sagte ihr, indem ich mich ihr

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