Julie oder Die neue Heloise
war einer von denen, in welchen sich das Grauen vor dem Tode fühlbar machte und die Natur sich ihrer Herrschaft wieder bemächtigte. Sie seufzte, faltete die Hände, hob die Augen empor; und ich sah, daß sie in der That jenes schwere Gebet verrichtete, von dem sie gesagt hatte, daß es dem Kranken eigene.
Sie wendete sich wieder zu mir. Ich fühle mich schwach, sagte sie; ich sehe voraus, daß diese Unterredung die letzte sein dürfte, die wir mit einander haben werden. Im Namen unserer Vereinigung, im Namen unserer theuern Kinder, die deren Unterpfand sind, seien Sie nicht mehr ungerecht gegen Ihre Gattin. Ich mich freuen, Sie zu verlassen! den Mann, der nur gelebt hat, um mich glücklich und weise zu machen, ihn, der von allen Menschen am meisten für mich paßte, den einzigen vielleicht, mit dem ich einen guten Hausstand führen und eine brave Frau werden konnte! Ach! Glauben Sie, daß, wenn ich einen Werth auf das Leben legte, dies nur geschähe, um es mit Ihnen zuzubringen. Diese Worte, die mit Zärtlichkeit ausgesprochen wurden, bewegten mich so, daß ich ihre Hände, die ich in den meinigen hielt und häufig zu meinem Munde führte, von meinen Thränen benetzt fühlte. Ich glaubte meine Augen nicht gemacht, Thränen zu vergießen: es waren die ersten seit meiner Geburt, es werden die letzten bis zu meinem Tode sein. Nachdem ich um Julie geweint, darf um nichts mehr geweint werden.
Dieser Tag war für sie ein anstrengender. Die Vorbereitung der Frau von Orbe in der Nacht, der Auftritt mit den Kindern am Morgen, der mit dem Pfarrer am Nachmittage und die Unterredung am Abend mit mir hatten sie erschöpft. Sie hatte ein wenig mehr Ruhe in dieser Nacht, als in der vorigen, sei es in Folge ihrer Schwäche, sei es weil in der That das Fieber weniger heftig war.
Am andern Tage in der Frühe sagte man mir, daß ein Mann von sehr armseligem Aussehen sehr angelegentlich bitte, Madame allein sprechen zu dürfen. Man hatte ihm gesagt, in welchem Zustande sie sich befände, er hatte auf seiner Bitte bestanden, indem er sagte, es handelte sich um ein gutes Werk; er kennte Frau von Wolmar wohl, und wüßte, daß sie, solange ein Athem in ihr wäre, gern Gutes thun würde. Da sie es zur unverletzlichen Regel gemacht hatte, Niemanden abzuweisen und besonders keinen Unglücklichen, so sagte man mir von diesem Manne, ehe man ihn wegschickte. Ich ließ ihn kommen. Er war fast in Lumpen und hatte die Miene und den Ton eines Nothleidenden; übrigens bemerkte ich in seinem Gesicht und in seinen Reden nichts, was mir eine schlechte Meinung von ihm gegeben hätte. Er bestand darauf, mit Julie allein sprechen zu wollen. Ich sagte ihm, wenn es sich nur darum handelte, ihm irgend eine Unterstützung zukommen zu lassen, so möchte er deshalb nicht eine Frau in ihrem letzten Augenblick behelligen, ich würde Alles thun, was sie nur für ihn hätte thun können. Nein, sagte er, ich verlange kein Geld, obgleich ich es sehr nöthig hätte; ich verlange ein Gut, das mir gehört, ein Gut, das ich höher achte, als alle Schätze der Erde, ein Gut, das ich durch meine Schuld verloren habe, und das Madame allein, von der ich es habe, mir noch einmal wiedergeben kann.
Obgleich ich den Sinn dieser Worte nicht errathen konnte, ließ ich mich dennoch dadurch bestimmen. Ein schlechtgesinnter Mensch hätte dasselbe sagen können, aber er würde es nicht mit demselben Tone gesagt haben. Er verlangte Geheimniß, kein Dienstbote sollte zugegen sein. Diese Vorsichtsmaßregeln schienen mir seltsam; jedoch verstand ich mich dazu, und führte ihn endlich zu ihr. Er hatte mir gesagt, daß Frau von Orbe ihn kenne; er ging an ihr vorüber, sie erkannte ihn nicht, und dies wunderte mich nicht sehr. Julie erkannte ihn augenblicklich, und da sie ihn in einem so traurigen Aufzuge sah, warf sie es mir vor, daß ich ihn darin gelassen. Die Wiedererkennung war rührend. Clara, durch das Geräusch aufgeschreckt, tritt heran und erkennt ihn nun auch, nicht ohne ebenfalls einige Freude blicken zu lassen; aber die Regungen ihres guten Herzens erstarben in ihrem tiefen Schmerz: ein einziges Gefühl verschlang Alles; sie hatte für nichts mehr Sinn.
Ich habe, glaube ich, nicht nöthig, Ihnen zu sagen, wer dieser Mann war. Seine Gegenwart erweckte manche Erinnerungen. Aber während Julie ihn tröstete und ihm Muth einsprach, wurde sie von einer heftigen Athemlosigkeit befallen und befand sich so übel, daß man glaubte, sie würde verscheiden. Um keinen Auftritt zu
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