Julie oder Die neue Heloise
dieses große Werk zu vollenden. Wie viele Beweggründe für euch beide, eure Herreise zu beschleunigen! Es ist des edeln Eduard würdig, daß unser Unglück ihn nicht bestimme, seinen Entschluß zu ändern.
Kommt denn, theure und verehrte Freunde, kommt und schließt euch dem an, was von ihr übrig ist. Kommt, daß Alles beisammen sei, was ihr theuer war. Ihr Geist beseele uns, ihr Herz vereinige die unsrigen alle; leben wir stets unter ihren Augen! Es ist mir süß zu glauben, daß auch von dem Orte, den sie jetzt bewohnt, von der Stätte des ewigen Friedens diese Seele noch liebreich und fühlend gern zu uns herniedersteigt, ihre Freunde voll von ihrem Andenken findet, und sieht, wie sie ihre Tugenden nachahmen, wie sie sie ehren, wie sie ihr Grab mit Seufzen und ihren Namen anrufend umfassen. Nein, sie hat diesen Ort nicht verlassen, den sie uns so reizend machte, er ist noch ganz voll von ihr. Ich sehe sie über jedem Gegenstand, fühle sie auf jedem Tritte, jeden Augenblick des Tages höre ich den Ton ihrer Stimme. Hier hat sie gelebt: hier ruht ihre Asche .... die Hälfte ihrer Asche. Zwei Mal die Woche, zur Kirche gehend …. sehe ich …. sehe den traurigen, ehrwürdigen Ort .... Schönheit, das also ist deine letzte Freistatt! .... Traulichkeit, Freundschaft, Tugenden, Freuden, fröhliches Spiel, Alles hat die Erde verschlungen .... Ich fühle mich hingezogen .... schaudernd nahe ich .... scheue mich, den heiligen Boden mit meinen Füßen zu betreten .... ich glaube ihr Herz pochen und seufzen zu hören ich höre eine leise klagende Stimme Clara, o meine Clara! wo bist du und was thust du fern von deiner Freundin? .... Ihr Sarg hat sie nicht ganz .... er wartet auf den Rest seiner Beute .... er wird nicht lange warten
[Nachdem ich diese Sammlung wieder durchgelesen, glaube ich einzusehen, was mir das Interesse, das sie einflößt, sei es immerhin schwach, doch so angenehm macht, und, wie ich denke, jedem Leser von gutem Herzen machen wird; nämlich, daß dieses schwache Interesse wenigstens rein und ohne Beimischung von marternden Gefühlen ist, daß es nicht durch schwarze Gesinnungen, durch Verbrechen angeregt und nicht mit der Pein, hassen zu müssen, verbunden ist. Ich kann mir nicht denken , was für Vergnügen man daran finden kann, die Figur eines Bösewichts zu erfinden und zu zeichnen, sich, während man sie ausführt, in ihn hinein zu denken und ihn in das hellste Licht zu stellen. Ich bedaure die Verfasser so vieler grausiger Trauerspiele, welche ihr Leben damit hinbringen, Personen handeln und sprechen zu lassen, die man nicht ohne Schmerz anhören und betrachten kann. Mich dünkt, man müßte es für eine harte Strafe halten, wenn man zu einer so grausamen Arbeit gezwungen wäre; Diejenigen, welche sich eine Lust daraus machen, müssen recht von brennendem Eifer für das allgemeine Wohl verzehrt sein. Was mich betrifft, so bewundere ich von Herzen ihre Gaben und ihr Genie; aber ich danke Gott, daß er mich nicht damit beschenkt hat.]
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Anhang.
Émile Wattier (1800-68): Portrait von Milord Eduard Bomston
1. Milord Eduard Bomston's Liebesabenteuer.
Milord Eduard's seltsame Abenteuer in Rom waren zu romanenhaft, um nicht, wenn man sie in die Geschichte Juliens eingeschaltet hätte, die Einfachheit dieser zu zerstören. Ich werde mich nun hier darauf beschränken, einen kurzen Abriß dessen zu geben, was zu näherem Verständniß der zwei oder drei Briefe dienen kann, in denen von jenen Abenteuern die Rede ist.
Milord Eduard hatte auf seinen Reisen durch Italien in Rom mit einer Neapolitanerin von Stande Bekanntschaft gemacht, in die er sich bald sehr verliebte. Sie ihrerseits faßte für ihn eine heftige Leidenschaft, welche ihr Leben lang an ihr zehrte und sie zuletzt hinraffte. Dieser Mann, rauh und wenig galant, aber feurig und gefühlvoll, außerordentlich und groß in Allem, konnte eine mittelmäßige Neugier weder einflößen noch fühlen.
Da die Marquise sich vor den stoischen Grundsätzen des tugendhaften Engländers fürchtete, gebrauchte sie den Kunstgriff, sich, während ihr Mann nur auswärts war, für verwittwet auszugeben: dies konnte leicht geschehen, da sie beide in Rom fremd waren, und der Marquis in der Armee des Kaisers diente. Der verliebte Eduard fing bald an, von Heirat zu sprechen. Die Marquise hielt die Verschiedenheit der Religion und noch sonst mancherlei entgegen. Endlich ließen sie sich in einen freien vertraulichen Umgang ein, bis Eduard, als er
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