Julie oder Die neue Heloise
nicht eine Verhaltungsregel geben, ich unterwerfe sie Ihrer Einsicht. Machen Sie keine Gelehrten aus ihnen, machen Sie aus ihnen gutthätige und gerechte Menschen. Sprechen Sie mit ihnen manchmal von ihrer Mutter .... Sie wissen, wie theuer sie ihr waren .... Sagen Sie dem Marcellin, daß es mir nicht schwer geworden ist, für ihn zu sterben. Sagen Sie seinem Bruder, daß es seinetwegen war, wenn ich das Leben liebte. Sagen Sie ihnen .... Ich fühle mich matt. Ich muß schließen. Indem ich Ihnen meine Kinder lasse, trenne ich mich weniger schwer von ihnen, ich glaube bei ihnen zu bleiben.
Leben Sie wohl, wohl, mein süßer Freund .... Ach! ich beschließe mein Leben, wie ich es angefangen habe. Ich sage vielleicht zu viel in diesem Augenblick, in welchem das Herz nichts mehr verhehlt .... Nun, warum sollte ich fürchten, Alles auszusprechen, was ich fühle? Ich bin es ja nicht mehr, die mit dir spricht, ich liege schon in den Armen des Todes. Wenn du diesen Brief siehst, nagen die Würmer das Gesicht deiner Geliebten und ihr Herz, in welchem du nicht mehr wohnst. Aber könnte meine Seele ohne dich sein? Welche Seligkeit könnte ich ohne dich genießen? Nein, ich verlasse dich nicht, ich werde dich erwarten. Die Tugend, die auf Erden uns trennte, wirduns in dem ewigen Aufenthalte vereinigen. In dieser süßen Erwartung sterbe ich; zu glücklich, mit meinem Leben das Recht zu erkaufen, dich ewig ohne Schuld zu lieben, und es dir noch einmal zu sagen.
Dreizehnter Brief.
Frau von Orbe an Saint-Preux.
Ich erfahre, daß Sie sich in so weit zu erholen anfangen, daß man hoffen kann, Sie bald hier zu sehen. Sie müssen sich aufraffen, mein Freund, müssen das Gebirge passiren, ehe es Ihnen der Winter gänzlich verschließt. Sie werden in unserer Gegend die Luft finden, die für Sie paßt; Sie werden nichts finden, als Schmerz und Traurigkeit, und vielleicht wird die allgemeine Betrübniß der Ihrigen ein Labsal sein. Die meinige bedarf der Ihrigen, um sich Luft zu machen; allein kann ich nicht weinen, nicht sprechen, nicht mich verständlich machen. Wolmar versteht mich und antwortet mir nicht. Ein unglücklicher Vater verschließt seinen Schmerz in sich; er kann sich keinen denken, der härter wäre; kann ihn weder bemerken, noch ahnen: Greise sprechen sich nicht mehr aus. Meine Kinder machen mich wehmüthig und wissen selbst nichts von Wehmuth. Ich bin allein mitten unter allen Leuten; eine Grabesstille herrscht um mich her. In meiner Abgespanntheit und Stumpfheit verkehre ich mit Niemand mehr, ich habe nur noch gerade Kraft und Leben genug in mir, um den Graus des Todes zu fühlen. O kommen Sie, der Sie meinen Verlust theilen, kommen Sie, meine Schmerzen zu theilen! mein Herz mit Ihren Klagen zu speisen, mit Ihren Thränen zu tränken! das ist derjenige Trost, den ich erwarten kann, die einzige Freude, die ich noch zu schmecken fähig bin.
Aber ehe Sie kommen, und ehe ich Ihre Meinung über einen Plan vernehme, von dem mit Ihnen, wie ich weiß, gesprochen worden, ist es gut, daß Sie die meinige im voraus wissen. Ich bin ehrlich und freimüthig, ich will Ihnen nichts vorenthalten. Ich habe Liebe für Sie empfunden, ich gestehe es: vielleicht ist es noch der Fall, vielleicht wird es immer so sein; ich weiß es nicht, und will es nicht wissen. Man hat es bemerkt, ich weiß es wohl; ich bin nicht böse darüber, und kümmere mich nicht darum. Aber dies muß ich Ihnen sagen, und Sie sollen es sich wohl merken: ein Mann, der von Julie von Étange geliebt wurde, und sich entschließen könnte, eine Andere zu heiraten, ist in meinen Augen nur ein elender und erbärmlicher Mensch, dessen Freundschaft ich mir zur Unehre schätzen würde, und was mich betrifft, so erkläre ich Ihnen, daß Jedermann, wer er auch sein möge, der sich inskünftige unterstehen wird mit mir von Liebe zu sprechen, gewiß in seinem Leben nicht wieder davon anfangen wird.
Denken Sie an die Mühen, die Ihrer hier warten, an die Pflichten, die Ihnen obliegen, an Die, der Sie die Erfüllung derselben versprochen haben. Ihre Kinder entwickeln sich und werden größer, ihr Vater zehrt sich allmählig ab, ihr Mann ist aufgeregt und unruhig. Wie er es auch anstelle, es ist ihm nicht möglich, an ihre Vernichtung zu glauben; sein Herz, was für eines er auch habe, empört sich gegen seine eitle Vernunft. Er spricht von ihr, er spricht zu ihr, er seufzt. Ich glaube schon das, was sie so oft gewünscht, in Erfüllung gehen zu sehen, und Ihre Aufgabe ist es,
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