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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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entdeckte, daß ihr Mann noch am Leben war, mit ihr brechen wollte, nachdem er sie mit den lebhaftesten Vorwürfen überhäuft hatte, ganz außer sich, daß er sich unwissentlich in ein Verbrechen verstrickt fand, vor welchem er Abscheu hatte.
    Die Marquise, eine Frau ohne Grundsätze, aber geschickt und reich an Reizen, sparte nichts, um ihn gefesselt zu halten, und es gelang ihr. Der ehebrecherische Umgang wurde aufgegeben, aber die Verbindung dauerte fort. So wenig sie würdig war zu lieben, liebte sie doch; sie mußte sich dazu verstehen, mit einem angebeteten Mann fruchtlos zu verkehren, weil sie ihn sich auf andere Weise nicht erhalten konnte, und die beiderseitige Liebe, durch die Schranke, welche sie selber aufrichteten, angefeuert, wurde im Zwange nur immer glühender. Die Marquise versäumte nichts, was ihren Liebhaber seines Vorsatzes vergessen machen konnte: sie war verführerisch und schön. Alles umsonst: der Engländer blieb unerschütterlich; seine große Seele war probefest. Die erste seiner Leidenschaften war die Tugend; er würde sein Leben seiner Geliebten und seine Geliebte seiner Pflicht aufgeopfert haben. Einmal wurde die Versuchung zu dringend; das Mittel, zu welchem er nun greifen wollte, um sich zu befreien, entwaffnete die Marquise und machte alle ihre Fallstricke wirkungslos. Nicht weil wir schwach sind, sondern weil wir feige sind, unterjochen uns stets unsere Sinne. Wer den Tod weniger fürchtet als das Verbrechen, ist nie gezwungen, ein Verbrechen zu begehen.
    Es giebt nur wenige solche starke Seelen, welche die anderen mit sich fortreißen und zu sich emporheben; aber es giebt ihrer. Eduard's Seele gehörte zu ihrer Zahl. Die Marquise hoffte ihn zu gewinnen; er gewann unvermerkt sie. Wenn die Tugendlehren in seinem Munde den Ton der Liebe annahmen, so rührte er sie, entlockte ihr Thränen; seine heilige Glut entzündete diese gemeine Seele; ein Gefühl von Gerechtigkeit und Ehre rührte sie mit seinem fremden Zauber an; das wahre Schöne begann ihr zu gefallen; wenn der Böse je seine Natur ändern könnte, so würde das Herz der Marquise umgewandelt worden sein.
    So aber gewann nur die Liebe bei diesen leichten Rührungen: sie nahm einen zarteren Charakter an. Die Marquise fing an, edel zu lieben; bei einem feurigen Temperamente und in einem Klima, wo die Sinne so viel Macht haben, vergaß sie ihre eigenen Freuden, um an die ihres Geliebten zu denken, und da sie sie nicht theilen konnte, wollte sie wenigstens, daß er sie von ihr habe. Dies war die günstige Auslegung, die sie selbst einer Veranstaltung gab, in welcher man bei ihrem und Eduard's Charakter, den sie so gut kannte, nur ein raffinirtes Verführungsmittel erblicken konnte.
    Sie sparte weder Mühe noch Kosten, und ließ ganz Rom nach einer jungen, willigen und sichern Person durchsuchen, die auch, obwohl nicht ohne Schwierigkeit, gefunden wurde. Eines Abends nach einer sehr zärtlichen Unterredung stellte sie sie ihm vor. Verfügen Sie über sie, sagte sie mit einem Lächeln, genießen Sie des Lohnes meiner Liebe; aber sie sei die einzige; es ist mir genug, wenn Sie manchmal bei ihr an die Hand denken, von der Sie sie haben. Sie wollte das Zimmer verlassen, Eduard hielt sie zurück. Bleiben Sie, sagte er zu ihr; wenn Sie mich für einen so erbärmlichen Menschen halten, daß ich Ihr Anerbieten mir in Ihrem eigenen Hause zu Nutze machen könnte, so ist das Opfer, das Sie bringen, nicht viel werth, und es kann an mir nicht viel verloren sein. Da Sie mir nicht gehören können, sagte die Marquise, so wünschte ich, daß Sie Niemanden gehören; aber wenn die Liebe ihre Rechte verlieren soll, erlauben Sie wenigstens, daß sie darüber verfüge. Warum ist Ihnen meine Wohlthat zur Last? Können Sie hier fürchten, sich als Undankbaren zu zeigen? Darauf nöthigte sie ihn, die Adresse Laurens (so hieß die junge Person) anzunehmen, und ließ ihn schwören, daß er sich jedes andern Umganges enthalten würde. Er mußte gerührt sein, er war es. Seine Erkenntlichkeit machte es ihm schwerer, sich zu enthalten, als seine Liebe, und es war die gefährlichste Falle, die ihm die Marquise je im Leben gestellt hatte.
    In Allem bis zum Aeußersten gehend, ganz wie ihr Geliebter, ließ sie Laura mit zu Abend essen und überhäufte sie mit Liebkosungen, wie um mit mehr Pomp des größten Opfers zu genießen, das die Liebe je gebracht hat. Eduard, davon ganz gerührt, überließ sich seinem Entzücken; die Bewegung seiner gefühlvollen Seele

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