Julie oder Die neue Heloise
brachte sie nur mit Mühe dahin, sich gerader heraus gegen ihn zu erklären. Die erloschene Schamhaftigkeit war mit der Liebe zurückgekehrt, und Laura hatte ihre Person nie mit so vieler Verschämtheit hingegeben, als sie jetzt zu überwinden hatte, um zu bekennen, daß sie liebte.
Kaum war diese Liebe geboren, so stand sie schon in ihrer vollen Kraft. Laura war lebhaft und gefühlvoll, schön genug, um eine Leidenschaft zu erregen, zärtlich genug, um sie zu theilen; aber von unwürdigen Eltern in frühester Jugend verkauft, hatte sie die Macht ihrer von der Ausschweifung befleckten Reize verloren. Im Schooße der schändlichen Freuden floh die Liebe vor ihr; unselige Verführer konnten sie weder fühlen, noch einflößen. Brennbare Körper brennen nicht von selbst; aber ein Funke naht, und Alles steht in Flammen.
So fing Laura's Herz Feuer, als sie Eduard's und der Marquise Liebe ansah. Mit Wonnebeben vernahm sie diese ihr neue Sprache; sie lauschte derselben mit gespanntem Ohr; ihre gierigen Blicke ließen sich nichts entrinnen. Die zitternde Glut, die aus den schwimmenden Augen des Liebenden sprühte, drang durch die ihrigen bis in ihr innerstes Herz; das Blut floß heißer durch ihre Adern; Eduard's Stimme hatte einen Ton, der sie tief bewegte. Die Empfindung schien ihr in allen seinen Geberden abgespiegelt; alle seine, von der Leidenschaft belebten Züge gaben sie ihr zu erkennen. So bewirkte das erste Bild der Liebe, das ihr vor Augen trat, daß sie für den Gegenstand selbst, der es ihr darbot, von Liebe entbrannte. Wenn er nichts für eine Andere gefühlt hätte, würde sie vielleicht nichts für ihn gefühlt haben.
Diese ganze Aufregung begleitete sie in ihre Wohnung. Die Verwirrung der keimenden Liebe ist immer süß. Ihre erste Regung war, sich diesem neuen Zauber zu überlassen, die zweite, daß sie die Augen über sich selbst öffnete. Zum ersten Male in ihrem Leben sah sie ihren Zustand; er machte ihr Grauen. Alles, was die Hoffnungen und Wünsche einer Liebenden nährt, verkehrte sich in ihrer Seele in Verzweiflung. Der Besitz des Geliebten stellte ihr nichts vor Augen, als die Schmach einer elenden, verworfenen Kreatur, der man mit seinen Liebkosungen seine Verachtung zuwirft; in dem, was sonst eine glückliche Liebe krönt, erblickte sie Nichts als den Schandfleck der Prostitution. Ihre unerträglichsten Qualen entsprangen so aus ihren eigenen Wünschen. Je leichter es für sie war, diese zu befriedigen, desto schreklicher schien ihr ihr Loos; ohne Ehre, ohne Hoffnung, ohne Mittel der Befriedigung, lernte sie die Liebe nur kennen, um sich ihr Paradies verschlossen zu sehen. So begannen ihre langen Schmerzen und endete das Glück, das sie nur einen Augenblick genossen.
Die aufkeimende Leidenschaft, welche sie in ihren eignen Augen demüthigte, erhob sie in denen Eduard's. Da er sah, daß sie fähig war, zu lieben, so verachtete er sie nicht mehr. Welchen Trost konnte sie von ihm erwarten? Welches Gefühl konnte er ihr zu erkennen geben, außer etwa den schwachen Antheil, den ein gutes Herz, das nicht mehr frei ist, an einem Gegenstand des Mitleids nehmen kann, der nicht mehr Ehre besitzt, als hinlänglich ist, um seine Schande zu fühlen?
Er tröstete sie, so gut er konnte, und versprach, sie wieder zu besuchen. Er sagte ihr nicht ein Wort über ihre Lage, nicht einmal, um sie zu ermahnen, sich aus derselben zu reißen. Was hätte, es genutzt, den Abscheu, den sie jetzt davor hatte, zu vergrößern, da es gerade dieser Abscheu war, der sie an sich verzweifeln machte? Jedes Wort über einen solchen Gegenstand wäre bezüglich gewesen und schien sie ihm anzunähern: dies durfte aber niemals sein. Das größte Unglück bei infamen Gewerben ist, daß nichts dadurch gewonnen wird, wenn man sie aufgiebt.
Nach einem zweiten Besuche schickte ihr Eduard, der seiner Freigebigkeit, nach Engländer Weise, nicht vergaß, ein lackirtes Kästchen mit verschiedenen Bijouterien. Sie schickte es ihm mit folgendem Bittet zurück:
„Ich habe das Recht verloren, Geschenke auszuschlagen; dennoch erkühne ich mich, Ihnen das Ihrige zurückzuschicken; denn es lag vielleicht nicht in Ihrer Absicht, es zu einem Zeichen der Verachtung zu machen. Wenn Sie es mir jetzt wiederschicken, so werde ich es allerdings annehmen müssen: aber Ihre Freigebigkeit ist sehr grausam."
Eduard las dieses Billet mit Erstaunen, er fand es zugleich demüthig und stolz. Ohne aus der Niedrigkeit ihres Standes herauszugehen, zeigte Laura
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