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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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gab sich in seinen Blicken, in seinem ganzen Wesen kund; er sprach kein Wort, das nicht der Ausdruck der lebhaftesten Leidenschaft gewesen wäre. Laura war reizend; kaum sah er sie an. Sie ahmte diese Gleichgültigkeit nicht nach; sie sah, und sie erblickte in dem wahren Gemälde der Liebe etwas, das für sie ganz neu war.
    Nach dem Abendessen schickte die Marquise Laura fort und blieb allein mit ihrem Geliebten. Sie hatte auf die Gefährlichkeit dieses Alleinseins sich Rechnung gemacht und hatte sich hierin nicht getäuscht; aber sie rechnete auch darauf, daß er erliegen würde, und hierin täuschte sie sich; alle Geschicklichkeit, die sie aufwendete, machte nur den Triumph der Tugend noch glänzender und für beide Theile schmerzlicher. Auf diesen Abend bezieht sich die Bewunderung, die Saint-Preux (am Ende der vierten Abtheilung der Julie) der Seelenstärke seines Freundes zollt.
    Eduard war tugendhaft, aber Mensch; er besaß die wahre Ehre in aller ihrer Einfachheit, jene, die nichts an sich hat von dem falschen Schein der Schicklichkeitsformen, die man ihr unterschiebt und worauf die Weltleute so viel Werth legen. Nachdem er mehrere Tage in derselben Aufregung bei der Marquise hingebracht hatte, fühlte er die Gefahr wachsen, und dem Erliegen nah, wollte er lieber gegen das Zartgefühl verstoßen, als gegen die Tugend: er besuchte Laura.
    Sie bebte bei seinem Anblick. Er fand sie traurig, er machte Versuche, sie aufzuheitern, und bildete sich ein, daß er ohne viel Mühe damit zu Stande kommen würde. Es war aber nicht so leicht, als er geglaubt hatte. Seine Liebkosungen wurden übel aufgenommen, seine Anerbietungen mit einer Miene zurückgewiesen, wie man sie nicht annimmt, wenn man streitig macht, was man gewähren will.
    Eine so lächerliche Aufnahme schreckte ihn nicht zurück, sondern reizte ihn. War er einem Mädchen dieser Classe kindische Rücksichten schuldig? Er machte ohne Schonung von seinen Rechten Gebrauch. Laura, die sich trotz ihres Geschreies, ihrer Thränen, ihres Widerstands niedergeworfen fühlt, rafft ihre Kräfte zusammen, schwingt sich in die andere Ecke des Zimmers und ruft ihm mit Lebhaftigkeit zu: Tödten Sie mich, wenn Sie wollen, aber nie werden Sie mich lebend berühren. Ihre Geberde, ihr Blick, ihr Ton waren nicht mißzuverstehen. Eduard in einem Erstaunen, das nicht zu beschreiben ist, nimmt sich zusammen, ergreift sie bei der Hand, läßt sie niedersitzen, setzt sich neben sie und erwartet, indem er sie anblickt, ohne zu sprechen, kalt die Entwicklung dieser Komödie.
    Sie sagte nichts; sie hatte die Augen niedergeschlagen; ihr Athem war ungleich, ihr Herz klopfte und Alles gab in ihr eine ungewöhnliche Aufregung zu erkennen. Eduard brach endlich das Schweigen, um sie zu fragen, was diese seltsame Scene zu bedeuten habe. Wäre ich fehl gegangen? sagte er zu ihr. Wären Sie nicht Lauretta Pisana? Wollte Gott! sagte sie mit zitternder Stimme. Wie denn?entgegnete er mit spöttischem Lächeln. So haben Sie wohl Ihr Metier geändert? Nein, sagte Laura, ich bin noch dieselbe; aus dem Stande, in welchem ich lebe, erhebt man sich nicht wieder. Er fand in dieser Aeußerung und in dem Tone, mit welchem sie gesprochen wurde, etwas so Außerordentliches, daß er nicht mehr wußte, was er denken sollte und sich einbildete, das Mädchen sei toll geworden. Er fuhr fort: Warum denn, reizende Laura, soll ich allein ausgeschlossen sein? Sagen Sie mir, was mir Ihren Haß zuzieht. Meinen Haß? rief sie mit noch bewegterem Tone. Ich habe Die nie geliebt, die ich aufgenommen habe; ich kann alle Welt ertragen, nur Sie nicht.
    Und warum das? Laura, erklären Sie sich deutlicher, ich verstehe Sie nicht. — Ach, verstehe ich mich denn selbst? Nur das weiß ich, daß Sie mich nie berühren werden .... Nein, rief sie, sich mit Heftigkeit wiederholend, nie werden Sie mich berühren. Mich in Ihren Armen fühlend, würde ich denken, daß Sie nur eine öffentliche Dirne umschlungen halten, und würde vor Wuth sterben.
    Sie belebte sich im Sprechen. Eduard sah in ihren Augen Zeichen von Schmerz und Verzweiflung, die ihn rührten. Er nahm weniger verächtliche Manieren und einen anständigeren und schmeichelnderen Ton an. Sie verbarg ihr Gesicht, sie vermied seine Blicke. Er ergreift liebreich ihre Hand. Kaum fühlte sie die seinige, als sie ihren Mund darauf drückte und sie ächzend und schluchzend mit ihren Lippen preßte.
    Diese Sprache, obgleich ziemlich verständlich, war doch nicht ganz klar. Eduard

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