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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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darin eine Art Würde. Sich so tief stellen hieß fast die Schmach der Stellung auslöschen. Er hatte schon aufgehört, Verachtung für sie zu hegen; er fing an, sie zu achten. Er setzte seine Besuche fort, ohne weiter von dem Geschenk zu reden; und wenn er es sich auch nicht zur Ehre schätzte, von ihr geliebt zu sein, konnte er doch nicht umhin, sich darüber zu freuen.
    Er machte der Marquise kein Geheimniß aus seinen Besuchen; er hatte dazu keinen Grund, und es wäre nur Undankbarkeit von seiner Seite gewesen. Sie wollte mehr davon wissen. Er schwor, daß er Laura nicht berührt habe.
    Seine Enthaltung hatte auf sie eine ganz entgegengesetzte Wirkung, als er erwartet hatte. Was? rief die Marquise wüthend, Sie besuchen sie und berühren Sie nicht? Was machen Sie denn bei ihr? Nun erwachte jene höllische Eifersucht, welche sie hundert Mal verleitete, Anschläge auf das Leben Beider zu machen, und sie in Wuth verzehrte bis zum Augenblick ihres Todes.
    Andere Umstände brachten diese wüthende Leidenschaft zu völligem Ausbruch und gaben dem wahren Charakter dieser Frau die Herrschaft zurück. Ich habe schon bemerkt, daß Eduard, bei seiner unverrückbaren Ehrlichkeit, der Delicatesse ermangelte. Er machte der Marquise dasselbe Geschenk, das ihm Laura zurückgeschickt hatte. Sie nahm es an, nicht aus Habsucht, sondern weil sie auf dem Fuße waren, sich Geschenke zu machen: ein Austausch, bei welchem in der That die Marquise nicht zu kurz kam. Zum Unglück brachte sie die erste Bestimmung dieses Geschenks in Erfahrung, und wie sie dazu gelangt wäre. Ich brauche nicht zu sagen, daß im Augenblick Alles zerbrochen und zum Fenster hinausgeworfen war. Man kann sich denken, was in solchem Falle eine eifersüchtige Geliebte und Frau von Stande empfinden mußte.
    Je mehr indessen Laura ihre Schande fühlte, desto weniger versuchte sie sich davon zu befreien; sie blieb darin aus Verzweiflung; und die Verachtung, welche sie für sich selbst hatte, sprang auf ihre Besucher zurück. Sie war nicht stolz; welches Recht hätte sie gehabt, es zu sein? Aber ein tiefes Gefühl von Beschimpfung, deren man sich vergeblich zu erwehren wünscht, das furchtbar Traurige einer Schmach, die sich fühlt, und der sich nicht entfliehen läßt, der Unwille eines Herzens, das sich noch ehrt und sich auf ewig entehrt fühlt, Alles übergoß mit Reue und Ekel Freuden, welche die Liebe verabscheut. Ihre Besucher ergriff ein Gefühl von Achtung, das diesen gemeinen Seelen sonst fremd ist, und machte es ihnen unmöglich, die Sprache der Liederlichkeit anzustimmen, ein unwillkürliches Schamgefühl vergiftete ihre Gierde, und gerührt von dem Schicksale ihres Opfers gingen sie hinweg, weinend über das Mädchen und erröthend über sich.
    Der Schmerz verzehrte sie. Eduard, der nach und nach Freundschaft für sie faßte, sah, daß sie nur schon zu betrübt war, und daß man sie eher aufmuntern, als niederdrücken müßte. Er besuchte sie, es war damit schon viel gethan, um sie zu trösten. Sein Gespräch that mehr, es machte ihr Muth; seine gehobenen und bedeutenden Reden gaben ihrer gebeugten Seele die verlorene Schwungkraft wieder. Welche Wirkung thaten sie nicht, aus einem geliebten Munde hervorgehend und in ein Herz von guter Anlage dringend, welches das Schicksal der Schmach überliefert, die Natur aber für die Sittlichkeit geschaffen hatte! In diesem Herzen hafteten sie, und wurden ihr zu einem fruchtbringenden Unterricht in der Tugend.
    Durch diese wohlthätigen Bemühungen brachte er es endlich dahin, daß sie besser von sich dachte. Wenn es keinen ewigen Schandfleck giebt, als den, ein verderbtes Herz zu haben, so finde ich in mir die Macht, meine Schande auszulöschen: ich werde ewig verachtet sein, aber ich werde die Verachtung nicht verdienen; ich werde mich nicht mehr selbstverachten. Dem Greuel des Lasters entronnen, wird mir der Schimpf der Verachtung weniger bitter sein. Ach! was thut es, wenn die ganze Welt höhnisch auf mich niederblickt, sobald nur Eduard mich achtet? Möge er sein Werk sehen und Freude daran haben: er allein wird mich für Alles entschädigen. Wenn die Ehre nichts dabei gewönne, wird wenigstens die Liebe gewinnen. Ja, geben wir dem Herzen, das von ihm entflammt ist, eine reinere Wohnung. Köstliches Gefühl! ich werde deinen süßen Regungen nicht mehr entweichen. Ich kann nicht glücklich sein, ich werde es nie sein, ich weiß es wohl. Ach! ich bin der Liebkosungen unwerth, die die Liebe spendet, aber nie

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