Julie oder Die neue Heloise
wieder werde ich andere dulden.
Ihr Zustand war zu gewaltsam, um so fortdauern zu können; aber, als sie versuchte, sich daraus zu befreien, fand sie Schwierigkeiten, die sie nicht vorausgesehen hatte. Sie erfuhr, daß Diejenige, welche dem Recht auf ihre Person entsagt hat, es nicht nach Gefallen wieder erlangt, und daß die Ehre eine bürgerliche Schutzwehr ist, welche Diejenigen sehr in Ohnmacht läßt, die sie verloren haben. Sie fand keinen anderen Ausweg, um sich dem Drucke zu entreißen, als daß sie sich schleunig in ein Kloster rettete, und ihre Wohnung fast der Plünderung überließ; denn sie lebte in einem Wohlstand, der bei denen ihres Gleichen, besonders in Italien, gewöhnlich ist, welche Jugend und Schönheit geltend zu machen haben. Sie hatte Bomston von ihrem Plane nichts gesagt, indem sie gewissermaßen etwas Niedriges darin fand, vor der Ausführung davon zu sprechen. Als sie an ihrer Freistätte war, gab sie ihm durch ein Billet Nachricht davon, und hat ihn, sie gegen die Mächtigen in Schutz zu nehmen, welche an ihrem unordentlichen Leben ein Interesse hatten, und sich. über ihr Zurückziehen ärgern würden. Er eilte sogleich in ihre Wohnung, um ihre Effecten zu retten. Obgleich fremd in Rom, gewann er doch als ein vornehmer, geachteter und reicher Herr, der die Sache der Sittlichkeit mit Nachdruck führte, bald Einfluß genug, um sie in ihrem Kloster zusichern, und ihr sogar den Fortgenuß einer Pension zu verschaffen, welche ihr von dem Cardinal hinterlassen war, dem ihre Eltern sie verkauft hatten.
Er besuchte sie. Sie war schön; sie liebte; sie war Büßerin; sie verdankte ihm Alles, was aus ihr noch werden sollte. Wie viel Ansprüche, ein Herz wie das seinige zu rühren! Er kam, erfüllt von allen Gefühlen, die ein empfindsames Herz zum Guten bringen können; es fehlte nur das eine, welches sie glücklich machen konnte, undwelches nicht von ihm abhing. Nie hatte sie so gehofft! sie war voll Jauchzen: sie fühlte sich schon in dem Stande, zu welchem man sich so selten wieder aufschwingt. Sie sagte: ich bin ehrbar; ein tugendhafter Mann nimmt Theil an mir; Liebe, mir ist es nicht mehr Leid um die Thränen, um die Seufzer, die du mich kostest: du hast mir schon Alles vergütet. Du gabst mir Kraft, und du gabst mir meinen Lohn; indem du mir meine Pflichten lieb machst, wirst du selbst zur ersten unter ihnen. Welches Glück ist doch nur mir allein aufgespart! Die Liebe erhebt mich und bringt mich zu Ehren, sie entreißt mich dem Verbrechen, der Schmach: sie kann aus meinem Herzen nicht mehr weichen, außer mit der Tugend zugleich. O, Eduard! könnte ich wieder verächtlich werden, so müßte ich aufgehört haben, dich zu lieben.
Ihr Rückzug machte Aufsehen. Gemeine Seelen, welche Andere nach sich selbst beurtheilen, konnten sich nicht einbilden, daß Eduard in dieser Sache nur aus Theilnahme und Edelmuth gehandelt. Laura war zu liebenswürdig, um nicht die Mühe, die sich ein Mann ihretwegen gab, immer verdächtig erscheinen zu lassen. Die Marquise, die ihre Spione hatte, war die erste, die von Allem unterrichtet wurde, und ihre Wuth, die sie nicht zurückhalten konnte, brachte nun vollends ihre Intrigue unter das Volk. Das Gerücht davon gelangte bis nach Wien zu dem Marquis, und im folgenden Winter kam er nach Rom, um sich zur Wiederherstellung seiner Ehre, die freilich nichts dabei gewann, einen Degenstich zu holen.
So war diese doppelte Liaison entstanden, die in einem Lande, wie Italien, Eduard tausend Gefahren aller Art aussetzte, bald von Seiten eines erbitterten Militairs, bald von Seiten einer eifersüchtigen und rachgierigen Frau, bald von Seiten Derer, die mit Laura Umgang gehabt hatten und über ihren Verlust wüthend waren. Kann es wunderlichere Liaisons geben, als diese, die, ihn in Gefahren ohne Nutzen verwickelnd, zwischen zwei leidenschaftliche Maitressen ihn theilten, ohne daß er eine von ihnen besitzen konnte; ausgeschlagen von der Courtisane, die er nicht liebte, die anständige Frau selber ausschlagend, die er anbetete; zwar stets tugendhaft, aber immer in dem Wahne, der Weisheit zu dienen, während er nur auf seine Leidenschaften hörte.
Es ist nicht leicht zu sagen, welche Art Sympathie zwei so entgegengesetzte Charaktere wie die Eduard's und der Marquise zusammenschließen mochte, aber trotz der Verschiedenheit ihrer Grundsätze konnten sie sich nie gänzlich von einander losreißen. Man kann sich die Verzweiflung dieser heftigen Fran denken, als sie sich durch
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