Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
welcher ich an dieser Musik Geschmack gewonnen habe, daraus, daß mir mein Bruder schon welchen für die italienische Poesie beigebracht hatte, den ich dann im Umgange mit dir sosehr genährt habe, daß es mir nicht schwer fällt, den Tonfall der Verse zu fühlen, und daß ich, wie Regianino es ausdrückt, recht gut Accent halte. Wir fangen jede Stunde damit an, daß ich einige Octaven von Tasso lese, oder eine Scene von Metastasio; dann läßt er mich Recitativ singen und begleiten; und es ist mir dabei, als ob ich nur weiter läse und spräche, was mir bei dem französischen Recitativ wahrhaftig nie begegnet ist. Hierauf muß ich Töne im Takte gleichmäßig und rein tragen, eine Uebung, welche mir das Schreien, woran ich gewöhnt bin, ziemlich schwer macht. Endlich gehen wir zu Arien über; dabei findet sich, daß die Reinheit und Biegsamkeit der Stimme, der pathetische Ausdruck, die Rinforzandos und alle Passagen sich bei sanftem Vortrag und richtigem Takthalten von selbst ergeben, so daß gerade was mir immer das Schwerste zu lernen schien, gar nicht einmal gelehrt zu werden braucht. Der Charakter der Melodie steht in solchem Bezuge zu dem Tone der Sprache und ist so rein modulirt, daß man nur auf den Baß zu hören und sich auf die Declamation zu verstehen braucht, um mit Leichtigkeit zu treffen. Alle Leidenschaften haben hier ihren scharfen und bestimmten Ausdruck; ganz das Gegentheil von dem schleppenden und gequälten Accent des französischen Gesanges, sagt der italienische, immer sanft und leicht, aber belebt und ergreifend, viel mit wenig Anstrengung: kurz, ich fühle, daß diese Musik die Seele bewegt und die Brust schont; sie ist gerade so, wie sie mein Herz und meine Lunge brauchen. Auf Dienstag denn, mein liebenswürdiger Freund, mein Lehrer, mein Büßer, mein Apostel; ach, was bist du mir nicht? warum muß denn so vielen Rechten ein bloßer Titel fehlen?
    N. S. Weißt du, es ist die Rede von einer allerliebsten Wasserfahrt, wie jene, die wir vor zwei Jahren mit der armen Chaillot machten? Wie schüchtern mein verschlagener Lehrer damals war! wie er zitterte, als er mir aus dem Kahne half! O, der Heuchler! ... er ist sehr anders geworden.
     
Dreiundfünfzigster Brief.
Von Julie.
    So macht Alles unsere Pläne scheitern. Alles täuscht unsere Erwartungen, Alles verläßt eine Liebe, die der Himmel wohl hätte krönen sollen! schnödes Spielzeug in der Hand eines blinden Glückes, arme Opfer einer höhnenden Hoffnung sind wir stets unserer Freude nah, um sie zu greifen, und können die fliehende nie erreichen. Diese vergeblich ersehnte Hochzeit sollte in Clarens sein; das schlechte Wetter macht uns einen Querstrich, sie muß in der Stadt gefeiert werden. Wir wollten uns allein sehen; Beide von Zudringlichen belagert, können wir nicht zu gleicher Zeit entrinnen, und den Augenblick, da Einer sich losmacht, ist es dem Andern nicht möglich, zu ihm zu eilen! Endlich findet sich ein günstiger Augenblick; die grausamste der Mütter entreißt ihn uns, und wenig hätte gefehlt, daß dieser Augenblick zwei Unglückliche ins Verderben stürzte, die in ihm ihr Glück suchten. Weit entfernt, meinen Muth niederzuschlagen, haben alle diese Hindernisse ihn nur erhöht; ich weiß nicht, welche neue Kraft mich beseelt, aber ich fühle eine Kühnheit in mir, die ich nie gekannt hatte; und wenn du es heute Abend wagst, sie zu theilen, so kann dieser Abend alle meine Versprechungen einlösen und auf einmal alle Schulden der Liebe abtragen.
    Gehe mit dir zu Rathe, Freund, und steh, bis zu welchem Punkte du das Leben lieb hast; denn das Mittel, das ich dir vorschlage, kann uns beiden den Tod bringen; wenn du ihn fürchtest, so lies diesen Brief nicht aus; aber wenn eine Degenspitze heute dein Herz nicht mehr erschreckt, als damals die Schlünde von Meillerie thaten, das meinige läuft dieselbe Gefahr und hat nicht gezaudert. Höre!
    Babi, die gewöhnlich in meinem Zimmer schläft, ist seit drei Tagen krank, und obgleich ich sie durchaus abwarten wollte, hat man sie gegen meinen Willen anders wohin gebracht; da sie sich aber besser fühlt, so ist sie vielleicht morgen schon wieder da. Das Zimmer, wo gegessen wird, ist entfernt von der Treppe, welche zu dem Zimmer meiner Mutter und dem meinigen führt; um die Essenszeit ist das ganze Haus öde mit Ausnahme der Küche und des Speisesaales. Endlich ist es jetzt um diese Zeit schon finstere Nacht, ihr Schleier wird Die, welche auf der Straße kommen, leicht vor beobachtenden

Weitere Kostenlose Bücher