Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
also nicht von einem Notfall, in dem man rasch Zwiebeln braucht, auch nicht von dem Notfall, wenn jemand auf einer einsamen Insel strandet und nichts anderes als Konservenzwiebeln zu essen hat. (Es sei denn, in seinem Erste-Hilfe-Koffer befände sich ein Gewürzregal.) Wenn man das alles zusammenzählt... Ich weiß nicht, was Sie da rauskriegen, aber ich habe den Verdacht, dass man in einem solchen Notfall größere Sorgen hat als die, ob Zwiebeln »essigsauer« schmecken.
Ein Bleader äußerte sich zu dieser schwierigen »Zwiebel«-Frage:
Vielleicht hatte Julia Child noch den Zweiten Weltkrieg im Hinterkopf: schlechte Ernten, jahrelang Lebensmittelengpässe und alle waren auf Konserven angewiesen, wegen ihrer Haltbarkeit… Heutzutage sind wir verwöhnt, und dass man Konservenzwiebeln nur noch selten findet, scheint mir ein Beweis dafür.
Ein trefflicher Gedanke, doch ich hoffe immer noch inbrünstig, dass Julia Child niemals in einer Lage war, wo sie zu solchen Maßnahmen greifen musste. Julia und Paul lebten in Cambridge, als der Stammvater aller New Yorker Stromausfälle, der große Blackout von 1977, zuschlug; durch den hat sie sich also nicht durchkochen müssen. Aber sicher gibt es auch in Cambridge Stromausfälle. Ich frage mich, ob sie jemals während eines Stromausfalls Pastasauce mit Konservenzwiebeln gekocht hat. Irgendwie bezweifle ich es. Wahrscheinlich hat sie eher eine Torte mit Crème au Beurre Menagère überzogen, dann Paul an der Hand genommen und ist mit ihm für den Rest des Tages ins Bett gestiegen. Das ist auch viel besser. Julia hat nämlich einen Sinn für das wirklich Wesentliche.
Mai 1949
Paris, Frankreich
Als er mittags zur Tür hereinkam, stieß sie einen Freudenschrei aus und warf sich in seine Arme. »Ich habe heute Morgen eine sagenhafte Wurst in Les Halles gekauft. So was hab ich noch nie gesehen.« Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn in das kleine Esszimmer.
»Warte, warte, lass mich erst den Mantel ausziehen!« Sie begrüßte ihn jeden Tag so, stürmisch und entzückt. Es zählte für ihn zu den Höhepunkten des Tages, wenn er zum Mittagessen heimkam, aber manchmal verspürte er winzige, hartnäckige Gewissensbisse, als sperre er einen temperamentvollen Golden Retriever ein, der ihn trotzdem immer liebevoll und dankbar begrüßte.
Auf dem Tisch standen zwei Teller mit Scheiben einer dunklen, geräucherten Wurst mit großen Fettbrocken, ein Laib Brot und ein guter, weicher Käse. Für jemanden, der bis vor wenigen Jahren keine Ahnung vom Essen gehabt hatte, besaß Julia einen untrüglichen und kühnen Geschmackssinn. Er zog einen Stuhl heraus, griff nach dem Brot, brach ein Stück ab.
Julia setzte sich ihm gegenüber und biss vorsichtig ein Stückchen Wurst ab. »Also, es war offenbar falscher Alarm. Nur eine Magenverstimmung, wie du sagtest. Vor lauter Liebe und Essen glaubt wohl irgendwann jede Frau, die nach Paris kommt, dass sie schwanger ist.«
Paul legte das Messer ab und hob den Blick zu seiner Frau. Sie hatten die Möglichkeit von Kindern natürlich erörtert, ganz unverbindlich. Offen gestanden machte ihn die Vorstellung nicht gerade überglücklich, aber als sie letzte Woche einen Verdacht geäußert hatte, hatte er beschlossen, sich um ihretwillen damit abzufinden. »Geht es dir gut?«
Sie krauste die Nase und lächelte. »Natürlich. Vielleicht bin ich nicht für Kinder geschaffen.«
Er fühlte sich schuldig. »Julie, es ist ja nicht so, dass wir nicht ein andermal...«
Sie winkte so überzeugend munter ab, dass er ihr fast glaubte. »Natürlich. Und ich genieße das Leben hier so sehr, dass es eine Schande wäre, wenn mir gerade jetzt so ein kleiner Balg den Spaß verderben würde. Es ist nur...« Einen Moment lang wirkte sie sehnsüchtig. »Ich wollte, ich hätte etwas, womit ich mich tagsüber beschäftigen kann. Ich kann doch nicht mein Leben lang nur über Märkte stolpern.«
Paul schnitt sich eine Ecke Käse ab und strich sie aufs Brot. »Genau das habe ich mir auch gedacht. Vielleicht solltest du dich einer Frauengruppe anschließen oder einen Kurs besuchen. Etwas, womit du deinen Kopf beschäftigen kannst. Es muss doch langweilig sein, hier den ganzen Tag allein festzusitzen.«
»Ach, ich kann mich ganz gut allein beschäftigen!« Sie stützte das Kinn in die Hand. »Trotzdem hast du Recht. Ich brauche so etwas wie ein Projekt . Das ist es.«
Als er mit dem Essen fertig war, begleitete sie ihn zur Tür. Er gab ihr einen
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