Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
Julie! Julie!« Ich lugte durch das Jalousiefenster nach unten und erblickte auf dem Gehsteig niemand Geringeren als Brad und Kimmy, die erschöpft zu uns hochstarrten. Kimmy hielt ihre Folterstöckelschuhe in den Händen, sie war barfuß, und die Strümpfe waren schon völlig zerfetzt. Vom Büro bis hierher hatten sie über die Queensboro Bridge so lange gebraucht.
Brad übernahm die Kerzenbeleuchtung, während Eric die große Wodkaflasche rausholte, die er in seiner unendlichen Weisheit auf dem Heimweg gekauft hatte. Ich zündete unterdessen mit meinem Feuerzeug unter ständigem Zurückzucken den Gasherd an. Als er mir nicht ins Gesicht explodierte, sondern eine beruhigende blaue Flamme ausspuckte, wusste ich, wir waren über den Berg. In solchen Momenten wissen wir Anhänger des Gasherds, dass wir Gott auf unserer Seite haben. Ich klemmte mir die Taschenlampe unters Kinn, und Eric stellte rings um mich Kerzen in Anrichteschälchen und Untertassen auf, bis ich mir wie ein Schamane bei einem Gastfreundschaftsritual vorkam, und eigentlich war es das ja auch. Ich briet Reis in Butter an - ein paar Zwiebeln hätte ich auch noch hineingeworfen, wenn ich sie in den dunklen Tiefen des Kühlschranks gefunden hätte - und goss ihn mit Hühnerbrühe auf. Als er gar war, füllte ich ihn in eine mit Butter ausgestrichene Savarinform - ja, so weit bin ich inzwischen, ich weiß auch in Notsituationen, wo meine Savarinform ist - und setzte diese in meinen größten, ungefähr zollhoch mit Wasser gefüllten Topf. Diesen Blackout-Reis à la Couronne ließ ich zehn Minuten auf dem Herd köcheln - ich musste ja bei Stromausfall ausgerechnet einen Reisring machen! Eigentlich hätte er im Backofen garen sollen, aber das Gas dort unten war wesentlich kniffliger anzuzünden als das oben auf dem Herd. Ich briet die Hühnerleber in Butter und improvisierte eine Sauce aus Vermouth und Brühe. Eric half mir, indem er die Auberginen briet.
Wir stellten gerade die Teller auf den Tisch, als wir es rufen hörten: »Julie! Juliiiie!« Unten auf der Straße stand Gwen, ein bisschen betrunken, ein bisschen hungrig und ein bisschen mitgenommen, da sie nach einer spontanen Feier des Blackouts und mutmaßlichen Weltendes im Büro zu Fuß über die Queensboro Bridge gewandert war.
Long Island City war an diesem Abend in Feststimmung. Wir hatten ein Candlelight-Dinner vom Feinsten. An den Wänden der Essnische hingen die irisierenden, fliederfarbenen Stores meiner Mutter und schimmerten jetzt im flackernden Licht. Wir sahen alle sehr schön, geheimnisvoll und zufrieden aus. Zur allgemeinen Erheiterung meckerten Kimmy und ich mächtig über unseren Sekretärinnenjob, während Brad und Gwen es sich am anderen Ende der Tafel überraschend gemütlich machten. Für sechs Personen war das Essen ein bisschen knapp, aber das erhöhte nur das apokalyptische Vergnügen an diesem Abend, besonders als Eric in die dunklen, turbulenten Straßen hinauswanderte und für uns alle Eis kaufte. Es war ein guter Abend für die Eisverkäufer - elf Uhr abends, und die Straßen waren noch immer voller Menschen - wer weiß, wie weit sie noch zu gehen hatten. Wir waren immerhin zu Hause.
Kimmy gelang es, per Handy ihren Freund zu erreichen, und ließ sich von ihm abholen. Erics Chef machte es sich auf dem Sofa bequem, während wir anderen noch ein bisschen um den Esstisch hockten. Wir waren schon leicht angesäuselt, da zog ich Gwen beiseite und fragte sie nach ihrem verheirateten Freund Mitch. (Aus irgendeinem Grund wollte ich sie nicht vor Brad fragen, mir schienen dort gewisse Möglichkeiten zu schlummern.)
»Ach, der hat kalte Füße gekriegt, weil er seine Frau betrügt, der Versager.«
»Oh, das tut mir Leid.«
»Weißt du was? Ich verdiene etwas Besseres als hin und wieder mal fantastischen Sex. Ich verdiene ganz oft fantastischen Sex. Der kann mich mal.«
Als das Geschirr abgeräumt war, schoben wir den Tisch zur Seite, so dass Brad und Gwen in der Essnische auf dem Flokatiteppich zusammenbrechen konnten. Wir verzogen uns ins Bett und fühlten uns höchst behaglich und als Teil einer Gemeinschaft, wie eine Horde Neandertaler, die sich nach einer ordentlichen Mastodonschlemmerei in ihre Höhle verzieht. Brad und Gwen schliefen in dieser Nacht so gut, dass sie nicht einmal aufwachten, als um 4.30 morgens die Lampe über ihren Köpfen wieder anging, zusammen mit dem Radiowecker. (Gwen schwört Stein und Bein, dass es zu nichts gekommen ist. Aber ich hoffe noch
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