Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
immer, dass aus den beiden was wird. Brad wäre wunderbar für sie.)
Manchmal gibt es nichts Besseres, als eine unbedeutende Angestellte zu sein. Am nächsten Morgen forderte uns Bloomberg im Radio auf, einfach daheim zu bleiben; wir sollten uns von der ganzen Strapaze erholen. Die Frau von Erics Chef kam aus Westchester und holte ihn ab, und sie brachten auch Brad und Gwen nach Hause. Eric und ich spülten zusammen ab. Jetzt weiß ich, dass kein STROM hundertmal besser ist als kein WASSER.
Ich hörte von den U-Bahn-Passagieren, die alle festsaßen, und dachte nur: »Hoffentlich musste Julie länger arbeiten. Ich hoffe und bete, dass Julie länger arbeiten musste.« Vielleicht bin ich doch ein besserer Mensch, als ich dachte, denn lieber verzichte ich auf einen Blog-Eintrag, der BESTIMMT interessant geworden wäre, als dass Julie stundenlang in einer stickigen U-Bahn festsitzen muss.
Ich weiß, ich weiß. Als ich hörte, dass der Stromausfall kein Terroranschlag war, dachte ich auch als Erstes: »O Gott, jetzt sitzt Julie in der Klemme.« So ähnlich wie: »O Gott, meine Schwester sitzt in der Klemme«, nur dass meine Schwester in Washington wohnt und nicht in New York. Und da ich dich täglich lese, fast von Anfang an, spielst du in meinem Leben eigentlich eine größere Rolle als meine Schwester, die mir nie schreibt.
Du bist ein besserer Mensch als ich, mein erster Gedanke war nämlich nur: »Wie soll Julie denn da kochen?« Danken wir Gott für Gasherde. Als ich dann in den Nachrichten die vielen Leute sah, die zu Fuß heimgehen mussten, machte ich mir wieder Sorgen. Danken wir also Gott auch für die habgierige Fährenfrau. Viel Glück, Julie!
»Die arme Julie!«, überlegte ich. »Wie will sie das schaffen?« Na, mit einer Taschenlampe unterm Kinn natürlich!!! Du bist wirklich irre, ein Indiana Jones der Küche mit einem Schneebesen im Gürtel!
Freunde sind ein großer Trost, vielleicht besonders solche, die man nie trifft. Man muss es mal so sehen: Während ich mit Tausenden anderen zerzausten Sekretärinnen aus Queens auf eine Fähre wartete, dachte eine Frau namens Chris in Minnesota nicht: »Oh, die armen New Yorker!«, sondern: »Oh, die arme Julie!« Während ich mit einer Taschenlampe unterm Kinn Hähnchenleber briet, versuchte sich ein Typ in Shreveport zu erinnern, ob Julie einen Gas- oder einen Elektroherd hatte. Ein paar übers ganze Land verstreute Menschen, die noch nie in New York gewesen waren, mich noch nie gesehen hatten, noch nie in ihrem Leben französisch gekocht hatten, dachten bei der Nachricht von dem Stromausfall an mich. Das ist doch unglaublich, oder? Mal abgesehen von dem Auftrieb für mein Ego. Denn Menschen, die das Ganze als eine Katastrophe für andere betrachtet hätten, sahen es nun als Katastrophe, die einem der Ihren widerfuhr, einer Freundin. Das soll nicht arrogant klingen; und ich glaube, es hat gar nicht so viel mit mir zu tun. Ich deute es so, dass die Menschen das Bedürfnis haben, sich um jemanden zu sorgen. Und wenn möglich, tun sie das auch.
Ich weiß nicht, ob ich das wirklich glaube, aber an dem Tag nach dem Blackout war ich der festen Meinung, dass schon der Glaube an die Güte des Menschen etwas mehr von dieser Substanz erzeugt; wenn wir also so dumm sind und an unsere eigene Gutmütigkeit glauben, und sei’s nur für einen Tag, erhöhen wir schon die Gesamtmenge an Großherzigkeit im Universum.
Das ist naiv, oder? Oh, verdammt, ich kann es nicht ab, wenn ich so bin.
Am nächsten Abend aßen wir Pasta mit einer Sahnesauce, in die ich eingemachte Zwiebeln à la Julia Child hineinrührte. »Alle Zwiebeln aus der Dose, die wir probiert haben, schmeckten unangenehm süßlich und essigsauer«, schreibt Julia Child. »Doch im Notfall können sie sehr nützlich sein, deshalb raten wir zu folgender Behandlung, durch die sie merklich besser werden.«
Ich fand, der Tag nach einem Stromausfall eignete sich wie kein anderer für eingemachte Notfallzwiebeln. Allerdings konnte ich mir nur schwer vorstellen, von welcher Art Notfall Julia Child eigentlich sprach. Schauen wir mal: Es muss eine Situation sein, in der es keine frischen Zwiebeln gibt, aber jede Menge eingemachte. (Lassen wir mal außer Acht, dass im Jahr 2003 das Aufspüren von Konservenzwiebeln schon eine Heldentat für sich ist.) Die Zwiebeln abtropfen lassen, kochen, wieder abtropfen lassen, dann 15 Minuten in Brühe mit einem Kräutersträußchen kochen; wir reden
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