Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
musste um elf Uhr aufbrechen, wenn ich um halb zwölf bei meinem Schminktermin sein wollte; zwei Glasuren hatte ich schon, blieb noch eine (und natürlich das Auftragen), und dann musste ich noch duschen, denn eigentlich wollte ich nicht mit Kügelchen aus gehärteter Zuckerlava im Haar im Fernsehen auftreten und riechen wie ein Hafenarbeiter. Blieb Zeit genug, meine E-Mails anzuschauen.
Und da erfuhr ich von Isabels Verlobung.
Er hat mir einen HEIRATSANTRAG gemacht, und ich hab JA gesagt!
Die Tinte auf Isabels Scheidungsurkunde war noch nicht trocken.
Er hat mich auf einer Brücke über den Weir gefragt - du musst uns besuchen kommen, es ist so unGLAUBlich schön hier -, denn er wollte, dass es ein bestimmter Ort ist, an den wir uns erinnern, zu dem wir immer gehen und den wir UNSEREN KINDERN zeigen können, und er schenkte mir einen Ring, den er extra für mich hat machen lassen. Wir sind auf dem besten Weg, richtig ekelhaft zu werden! Julie, mein Märchen ist gut ausgegangen! Dabei glaube ich nicht einmal an Märchen!!!
Meine erste, durchaus vernünftige Reaktion lautete: »Himmelherrgott!«
Die zweite war, dass ich den blöden Computer ausschaltete. Es gibt Momente, wo man den ganzen Mist, den die eigenen Freunde bauen, am besten mal für eine Weile vergisst. Dies trifft ganz besonders auf Isabel zu. Was dachte die sich eigentlich? Ausgerechnet sie musste doch wissen, dass so ein Scheißheiratsantrag (und erst recht von so einem Scheißpunkgitarristen aus Bath) nicht das Ende von etwas war, Märchen hin oder her. Und wie sollte ich damit umgehen, dass sie ihr Leben in den Sand setzte, während ich einen Kuchen glasieren, duschen und im Fernsehen auftreten musste?
Erst mitten in meinem zweiten Anlauf zu Glasur Nr. 3, der Crème au Beurre à l’Anglaise , verfiel ich auf meine dritte Antwort.
Crème au Beurre à l’Anglaise basiert auf Crème Anglaise , einer Art Baustein für französische Nachspeisen, zumindest für die von Julia beschriebenen. Folglich hatte ich sie schon mehrmals gemacht. Doch ich war immer noch nervös, denn es gehörte Eiercreme dazu, aus der Familie der gelierenden, dickenden Speisen. Im Grunde muss man nur Eigelb mit Zucker und heißer Milch vermischen und dann auf kleiner Flamme erwärmen, bis alles fest wird, aber nicht gerinnt. In einer Schüssel, die wiederum in einer Schüssel mit Eiswürfeln steht, rührt man diese Masse, bis sie fast auf Zimmertemperatur abgekühlt ist, und mischt ziemlich viel Butter drunter. Das klingt simpel und ist es sicher auch, wenn man den Unterschied zwischen »fest werden« und »gerinnen« beherrscht, aber ich war noch immer nicht sattelfest, obwohl ich die Creme im letzten Jahr ein Dutzend Mal gemacht habe.
Beim ersten Mal habe ich sie nicht lange genug gekocht, nichts wurde dick, immer die gleiche Scheiße. Als ich den ersten Versuch weggeworfen hatte und die Eiercreme zum zweiten Mal fabrizierte - ich rührte, starrte in den Topf und dachte immer nur: Werde dick! -, da lachte ich plötzlich in mich hinein. Ich machte um elf Uhr vormittags drei verschiedene Glasuren für einen Kuchen und anschließend trat ich in einer landesweit ausgestrahlten Börsensendung auf. Das alles mit Bindehautentzündung und mit dem tollen Gefühl, nicht zur Arbeit gehen zu müssen. Wenn ich es recht besah, war heute der schönste Tag der Woche, und es war ein Ende, das sich vor einem Jahr niemand für mein Blog oder für mich hätte ausdenken können. Ein perfektes Ende.
Ein märchenhaftes Ende geradezu.
Und erst jetzt fiel mir die dritte Antwort auf Isabel und ihre E-Mail ein.
War ich etwa eine Frau mit einem festen Plan? Hatte ich etwa zu meiner Familie und meinen Freunden gesagt: »Hey, ich koch mich jetzt durch ein altes französisches Kochbuch, und wenn ich fertig bin, weiß ich, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen werde«, woraufhin sie sich mit einem Seufzer der Erleichterung zurückgelehnt und gedacht hätten: Ach, was bin ich froh, dass Julie da draufgekommen ist. Kluges Mädchen, diese Julie!
Wer war ich, dass ich über andere Menschen urteilte? Eine Art Lebens-Fahrlehrer? Was glaubte ich denn, wer ich eigentlich war? Ich wurde von drei Nachrichtensprecherinnen gleichzeitig interviewt, und alle drei verschlangen meinen Kuchen, während sie mich befragten, so dass ich selbst keinen Bissen abbekam. Es war irritierend. Vor allem wollten sie unbedingt wissen, wie viel ich zugenommen hatte. Es ist ein wenig unverschämt, in einer
Weitere Kostenlose Bücher