Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
- kann man ihnen das vorwerfen?)
Ich hatte acht französische Tartes gemacht, von denen mich jede einzelne noch vor einem Jahr erledigt hätte. Ich hatte ein Dutzend Gäste, und vor einem Jahr wäre ich froh gewesen, wenn ich zwei zu mir zu locken vermocht hätte. Julia wäre stolz auf mich gewesen, wenn sie das gewusst hätte. Verdammt, sie war stolz auf mich. Das wusste ich, denn seit fast elf Monaten wohnte Julia in meinem Kopf, in den zugigen, geräumigen, hoffnungsvollen Apartments, wo auch der Geist von Santa Claus friedlich vor sich hin röchelte, zusammen mit meiner wachsamen toten Großmutter, der Seelenwanderung, der Zauberei und allem, was auf den hellen, nüchternen Highways meines Großstadtgehirns nicht überleben konnte. Sie hatte es sich dort bequem gemacht, und auch wenn ihr Bild vor meinen Augen verschwamm, hatte ich ziemlich oft das Gefühl, sie sei bei mir.
Doch am Morgen nach dem gottverdammten verunglückten Apfelgelee traf nichts von alledem zu.
Das »Ende« ist ein hinterlistiges Aas, aber wer will, kann den Anfang vom Ende dort ansiedeln, wo die Heldin einsehen muss, dass ihr Tun sinnlos ist und sie, wenn es nicht klappt, bis zum Hals in der Scheiße sitzt. Nach dieser Definition nahm das Ende einen langen Anfang. Und vielleicht begann es damals im Juli mit dieser schlaflosen Nacht und den zermürbenden Gedanken über Gelee.
19. August 2003. Ich hatte noch sechs Tage vor mir und bereitete drei Glasuren für einen einzigen Kuchen zu, den ich zu meinem Auftritt bei den Börsennachrichten auf CNN mitnehmen würde. (Fragen Sie mich nicht, warum sich CNN financial news für mich und meine Kuchen interessierte - ich begreife es selbst nicht.) Da ich noch genau eine Woche und zwölf Rezepte vor mir hatte (drei davon Glasuren), konnte ich doch gleich alle drei Glasuren auf einmal aus dem Weg räumen und damit jeweils ein Drittel des Kuchens glasieren, mercedessternartig. Ich war ein bisschen von der Rolle, aber vielleicht drehte ich auch nur durch, weil ich am Morgen meines Liveauftritts im landesweiten Fernsehen plötzlich eine schwere Bindehautentzündung hatte.
Die erste Glasur, Crème au Beurre Ménagère , war ein Kinderspiel, und die zweite, Crème au Beurre au Sucre Cuit , wäre auch eins gewesen, wenn ich hätte lesen können. Zu meiner Verteidigung: Lesen Sie bitte selbst die folgenden beiden Anleitungssätze:
1. Die Butter rühren, bis sie hell und schaumig ist. Beiseite stellen.
2. Die Eigelb in die Schüssel geben und ein paar Sekunden rühren, so dass sie sich gut vermischen. Beiseite stellen.
Was heißt das in Ihren Augen? Für mich heißt es das, was ich zweimal tat, nämlich: Die Butter schaumig rühren, dann die Eigelb unterziehen. Und wenn ich zum dritten Schritt kam,
3. Zucker und Wasser in einer Kasserolle zum Kochen bringen, dabei den Topf häufig schütteln, bis der Zucker den »soft-ball-Zustand« erreicht hat... Den kochenden Sirup sofort tropfenweise ins Eigelb gießen, dabei mit dem Schneebesen rühren,
... führte dies zweimal dazu, dass ich über und über mit einer Eigelb-Schaumbutter-Mischung gesprenkelt und der Schneebesen mit Zuckerkristallen so groß und hart wie Murmeln geschmückt war. Erst gab ich die Schuld dieser »soft-ball«-Geschichte; von »soft-ball-Zustand« hatte ich zwar gehört, glaubte aber nicht daran, es war wie beim Osterhasen oder, hier passender, beim Schwarzen Mann. Erst beim dritten Durchlesen erkannte ich den verborgenen Fingerzeig in diesem ENIGMA-Text:
... den kochenden Sirup sofort tropfenweise ins EIGELB gießen ...
Eigelb und Butter , wolltest du doch sagen, nicht wahr, Julia? Schau, du schreibst doch selbst in Anweisung Nr. 2: » Die Eigelb in die Schüssel geben...« Die Schüssel, nicht wahr? Also in die Schüssel hier vor mir, die mit der gerührten Butter, oder? Dorthinein mussten auch die Eigelb geschlagen werden. Das ist doch eine einwandfreie Schlussfolgerung. Allerdings, ehrlich gesagt... die Eigelb in die Schüssel »geben« klingt irgendwie komisch für »unterrühren«… und hier links, in der Liste der benötigten Gerätschaften, steht: ZWEI 3-Liter-Schüsseln. Nicht eine. Eine für die Butter. Und eine - damit wir uns recht verstehen - für das Eigelb.
Aha.
Beim dritten Mal gelang die Crème au Beurre au Sucre Cuit ganz wunderbar.
Inzwischen war es 9.45 Uhr. Wegen dieser ganzen Geschichte ging ich heute nicht zur Arbeit, denn was konnten sie schon machen, mich rausschmeißen? Ich
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