Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
sie war schon tot, bevor sie geheiratet oder sich überhaupt kennen gelernt hatten. Das ist natürlich traurig. Aber zumindest musste sich Julia keine Sorgen darüber machen, wie sie ihrer Mutter eine dunkle, übel riechende Wohnung vorführen sollte mit einer Küche am Ende einer knarzenden Treppe und einer seltsamen, etwas unheimlichen Badewanne.
Natürlich weiß ich nichts über die Badewanne der Childs, die mochte durchaus anständig gewesen sein. Es war die unsere, die mir nicht geheuer war.
Unsere neue Küche war ziemlich groß, zumindest für New Yorker Verhältnisse. Es war ein eigener Raum mit so was wie einer Arbeitsfläche neben der Spüle und normalgroßen Geräten, beleuchtet von einer Industrie-Leuchstoffröhre. Nach dem Einzug rissen wir als Erstes drei Lagen hundertjährige eklige Fliesen raus, bis wir auf Dielenbretter stießen. Diese Bretter waren dunkel, feucht und ein bisschen modrig; wir wussten nicht so recht, was wir damit machen sollten. Aber mir gefiel die Küche, ihretwegen hatte ich die Wohnung genommen, war ich blind gewesen für die defekten Fensterjalousien, die seltsame schwarze Badewanne und alle anderen ach so grässlichen Mängel.
Die Badewanne aus schwarzem Porzellan stand auf einer erhöhten Plattform, zu der zwei Stufen hinaufführten. Das klingt vielleicht irgendwie sexy, so nach Las Vegas - aber das war es keineswegs. Erstens hatte die Wanne einen nur schlecht verkitteten Sprung und zweitens war die Verkleidung aus einem Kunststoff, wie er in den fünfziger Jahren in nicht gerade noblen Hotels üblich war, und der war auch noch geborsten. Die Stufen bestanden aus Sperrholz, beklebt mit einem Antirutschgummi in schlachtschiffgrau. Zwei Stufen höher, das bedeutete nur, zwei Stufen näher an der sich in ihre Bestandteile auflösenden Zwischendecke und dem Einschnitt für den herabbaumelnden Beleuchtungskörper. Die Lampe funktionierte nicht, es war im Grunde nur ein gähnendes schwarzes Loch, und man argwöhnte unwillkürlich, dass sich von dort grässliche Biester auf den Badenden herniederließen.
Die Wohnung war lang gestreckt und niedrig, und da die Linoleumböden sämtlich so schlachtschiffgrau gestrichen waren wie die Wannenstufen, fühlte man sich wie im Innern eines U-Boots. Das große Panoramafenster ganz vorne wurde eingerahmt von Lamellenfenstern, wie man sie in den Kleinstädten im Süden findet. Auch das klingt hübsch, war es aber nicht, denn Long Island City ist keine Kleinstadt im Süden.
Als meine Mutter die Badewanne zum ersten Mal sah, lachte sie, aber es war kein fröhliches Lachen. Als sie die Lamellenfenster sah, riss sie die Augen auf. »Julie, die schließen nicht mal richtig. Du wirst erfrieren .« Mit ohrenbetäubendem Krach donnerte ein Schwerlaster über ein Riesenschlagloch genau vorm Haus. »Aber vorher kriegst du noch einen Hörsturz.«
Wir hatten Plätze bei einem Italiener in der Stadt reserviert. Ich scheuchte alle so bald wie möglich aus dem Haus, führte sie vor dem Essen in eine Bar und versuchte nach Kräften, beim Essen und Trinken die Atmosphäre einer Orgie zu erzeugen. Dies gelang mir so gut, dass ich mich am Ende des Abends nur noch mit Mühe aufrecht halten und uns alle in Taxis packen konnte. Aber das reichte nicht.
Um Mitternacht lagen wir alle im »Loft« in den Betten. Es sollte die längste Nacht meines bisherigen Lebens werden. Jedes vorbeifahrende Auto hatte den Auspufftopf verloren, jeder siebte Laster nahm die scharfe Kurve hinter unserem Haus mit 130 Stundenkilometern und einem Kreischen, das nicht von dieser Welt war, und jeder Seufzer, jedes gereizte Rascheln von der Luftmatratze legte meine Nerven bloß und verursachte mir Herzrasen. Irgendwann muss ich trotzdem weggesackt sein, denn um fünf Uhr früh wachte ich mit einem Ruck wieder auf und erblickte meine Mutter im Nachthemd am Fenster, die Stirn gegen die Lamellen gepresst, wie sie wütend murmelte und drohend die Faust erhob gegen einen circa 60 Meter hohen Kran, der sich langsam rückwärts an unserer Wohnung vorbeischob und dabei laut piepste, vermutlich um zu verhindern, dass einer der zahllosen emsigen Fußgänger, die sich morgens um fünf auf den Gehsteigen von Long Island City tummeln, plötzlich auf die Fahrbahn springt und sich von einem langsam fahrenden, 60 Meter hohen Kran überfahren lässt.
Zur ersten Krise kam es morgens, als U-Haul zu niemandes Überraschung unsere Mietwagenreservierung verschlampt hatte. »Das war in New York nicht anders
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