Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
beiseite und fragte, ob er noch eine Weile auf unserer Couch nächtigen könne. Er werde an einem Verkaufstand auf einem Kosmetik-Kongress im Javits Center arbeiten. Das klang so gar nicht nach Heathcliff, es sei denn, er verkaufte Seifen und Lotion aus der Milch von Kaschmirziegen, die er persönlich ein Jahr lang in der Toskana gehütet hätte. Das wäre Heathcliff, wie er leibt und lebt.
Inzwischen wurde ich draußen in der virtuellen Welt anscheinend vermisst. Jemand namens Chris schrieb einen Kommentar zum Poulet Poêle à l’Estragon, meine erste Post seit fast einer Woche: »Gott sei Dank bist du wieder da! Ich dachte schon, du bist tot!!! Ich hab dich So vermisst!« Einen halben Tag lang war ich begeistert, dass eine Chris regelmäßig meine Texte las, wo ich doch keinerlei Chris kannte, dann merkte ich allmählich, dass Chris’ Kommentar etwas... nun ja, gruselig war. Trotzdem tat es gut, geschätzt zu werden, und nach meiner durch Eltern und Umzugschaos verursachten Pause kehrte ich mit Volldampf zu meinem Julie/Julia-Projekt zurück. Ich begann vorsichtig, erst einmal mit pochierten Eiern und Suppe. Aber bald war ich bereit für eine größere Herausforderung. Wie zum Beispiel Steak mit Rindermarksauce.
Die erste Hürde im Kampf mit Rindermark ist, dass man das Treffen überhaupt erst zustande bringen muss. 1961, als Julia Child Mastering the Art of French Cooking schrieb, hingen die Markknochen wahrscheinlich noch wie fettige Christbaumkugeln an den Bäumen. Aber ich lebte nicht 1961 und auch nicht in Frankreich, was die Sache leichter gemacht hätte. Vielmehr lebte ich in Long Island City, und in Long Island City sind Markknochen einfach nicht zu haben.
Lower Manhattan war auch nicht viel besser. Es gab Weinhandlungen, Käseboutiquen und hübsche Bistros, aber da sich die schicken Leute, die so weit Downtown wohnen, meist wie die Vampire ernähren - sprich: sich schnell etwas schnappen und im Gehen aussaugen -, war nirgendwo ein Fleischer zu finden.
So setzte ich Eric auf den Fall an. Als Erstes fuhr er eines Abends nach der Arbeit nach Astoria hinüber, in der Vermutung, dass es in Astoria noch Läden von guten, echten Einwanderern gab, die einen guten, ordentlichen Knochen zu schätzen wussten. Aber die guten, echten Einwanderer waren offenbar weitergewandert. Eric hatte kein Glück. Heathcliff wurde im Kongresszentrum erst um sieben Uhr fertig, und ich kam erst nach neun Uhr heim. Es gab Brathähnchen à la Julia . Für die Sauce sollte ich den Muskelmagen klein hacken, aber ich wusste gar nicht, was der Muskelmagen war. Mit Sicherheit handelte es sich um eines der Dinger in der Papiertüte, die dem Vogel im Hintern steckte. Die Leber war es nicht, aber welche der restlichen Innereien der Muskelmagen war, blieb mir ein Rätsel.
(Nachdem ich meine Post zu diesem Thema gelesen hatte, rief mich Erics Vater an und klärte das Problem: Der Muskelmagen sei das Ding, das aussehe wie zwei zusammenhängende Herzen, und das Herz sei das Ding, das aussehe wie ein halber Muskelmagen.)
Am nächsten Abend gingen Eric und Heathcliff das Problem von zwei Seiten an. Mein Mann fuhr mit dem Zug gleich von der Arbeit zur Upper East Side, mein Bruder ins West Village. Aber sowohl Lobel’s wie Ottomanelli’s hatten schon dichtgemacht, als meine getreuen Markknochen-Apportierhunde dort anlangten. Metzger brauchen offenbar ihren Schönheitsschlaf. Mein Bruder schaffte es noch vor Geschäftsschluss zu Petco und kaufte ein paar Mäuse für meine Lieblingsschlange Zuzu. (Wenn Heathcliff in New York ist, nutze ich das immer aus und überlasse ihm das Schlangenfüttern. Schließlich war er es gewesen, der mir damals im College einen anderthalb Meter langen Königspython geschenkt hatte, weil er fand, ich bräuchte ein Haustier. Da sollte er ruhig die karmische Schuld mittragen, die im Laufe von zehn Jahren durch die Opferung von Nagetieren angewachsen war.) Ich kam kurz vor zehn Uhr heim, bestellte eine Pizza und brach auf dem Sofa zusammen. Eric musste mich wecken, damit ich wenigstens meine Kontaktlinsen rausnehmen konnte. Mich aufzuwecken, wenn ich auf der Couch eingeschlafen bin, ist kein Vergnügen.
Und dann war Mittwoch, der 11. September 2002. Ich stand um 5 Uhr auf, damit ich um 7 Uhr im Büro war. Den ganzen Vormittag lang stand ich herum. Erst hinten im überfüllten Pressekonferenzraum, wo ich dem langweiligen, rührenden Politikergeschwätz lauschte und zu klären versuchte, ob Nate mich nun ansah oder
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