Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche

Titel: Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Powell
Vom Netzwerk:
einfach nur ins Leere starrte. Dann stand ich auf dem Betonplatz vor unserem Gebäude. Auf der anderen Straßenseite, in dem Loch, wo die Türme gewesen waren, stand schweigend ein Kreis aus Angehörigen im wehenden Baustaub. Sie sprachen die Namen all derer, die hier gestorben waren, in ein Mikrophon. Am Nachmittag betreute ich den Family Room.
    Der Family Room war ein ehemaliges Besprechungszimmer, das man in eine Art Aussegnungshalle für jene verwandelt hatte, deren Ehemänner, Schwestern oder Söhne nie gefunden worden waren. Aus den Fenstern blickte man vom zwanzigsten Stockwerk in das Loch hinunter. Die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Fotos und Gedichten, Blumen und Erinnerungen tapeziert. Es gab ein Buch, in das man sich eintragen konnte, ein paar Sofas und Spielsachen für die Kinder. Der Family Room war der einzige Ort, wo diese Leute ihren verlorenen Angehörigen nahe sein konnten, ohne von Straßenhändlern mit NYFD-Baseball-Caps oder Osama-Bin-Laden-Klopapier belästigt zu werden, oder von Touristen, die vor dem Zaun für die Kamera posierten, als besichtigten sie den Hoover-Damm. Bis vor kurzem wurden noch immer Leichen gefunden, deshalb hat es schon einen gewissen Sinn, wenn sie hierher kommen. Ich für mein Teil bin allerdings kein großer Friedhofsbesucher; wenn ich dort hinuntersehe, denke ich nicht an Gott und Engel und das heitere Antlitz derer, die in irgendein Jenseits gegangen sind. Ich denke nur an Leichenteile. Ich begreife nicht, wie jemand, der tatsächlich Angehörige in dieser alles verschlingenden Wunde verloren hat, den Anblick ertragen kann.
    Nach der Gedenkfeier am Vormittag gingen alle in den Family Room und starrten wieder in das Loch. Sie schleppten noch mehr Fotos und Gedichte an und pinnten sie an die Wände. Die waren inzwischen so voll, dass jemand, der zum ersten Mal kam und etwas befestigen wollte, Hilfe brauchte, um einen freien Fleck zu finden. Ich half, indem ich vorsichtig ein Andenken einen Zentimeter nach links und ein anderes einen Zentimeter nach rechts schob und den Schnappschuss dazwischenzwängte, das einzige Foto der kleinen Frau aus Ecuador, deren Sohn im Restaurant Windows on the World abgespült hatte. Es war schwer für die Neuankömmlinge, nicht nur, weil die Wände so voll waren, nicht nur, weil sie sich mit den anderen Familien, die regelmäßig kamen, noch nicht angefreundet hatten. Wenn jemand ein Jahr nach den tragischen Ereignissen zum ersten Mal kam, so vielleicht deshalb, weil er im Ausland lebte und nicht Englisch sprach, oder weil seine Beziehung zu dem Toten kompliziert gewesen war. Also reichte ich dem Schwulen aus Deutschland ein Kleenex und gab der schrulligen Tante aus England eine Flasche Wasser, und dem Exehemann aus Belize, der in Schluchzen ausbrach, tätschelte ich verlegen den Rücken. Das alles war am Jahrestag des 11. September Aufgabe der Nachwuchskräfte - na ja, eines Teils der Nachwuchskräfte: Der Sekretärinnen, aber nicht der Stadtplanungsassistenten, der Mädchen aus der Werbeabteilung, aber nicht der Jungs von der Programmentwicklung. Tatsächlich sorgten nur Frauen, kein einziger Mann, den ganzen Tag für Reißnägel, Kugelschreiber, Wasser, Taschentücher und Toilettenschlüssel. Vielleicht dachten die Chefs (lauter Republikaner) mit ihrer Familie-und-wahre-Werte-Einstellung, Frauen seien von Natur aus zart und feinfühlig - ungeachtet der zahlreichen Beweise für das Gegenteil innerhalb ihrer eigenen Partei. Vielleicht ahnten sie auch nur, dass sich Jungs von den Eliteuniversitäten zu solch rührseliger Scheißarbeit nicht besonders hingezogen fühlen.
    Unterdessen gab es immer noch das Knochenmarkproblem. Eric kam der Gedanke, dass Sally die geborene Assistentin für diese Suche wäre, aber da wir noch immer nicht wussten, ob ihre Eltern von einem Wahnsinnigen mit Präzisionsgewehr umgebracht worden waren oder nicht, barg die Bitte um ihre Hilfe ein gewisses Risiko.
    »Meine Eltern - was? Was? O Gott, hab ich euch nicht angerufen?« Sally klang verzweifelt.
    Eric war noch nie versehentlich in ein Gespräch über kürzlich brutal ermordete Eltern verstrickt worden, aber irgendwo tief drinnen hatte er immer befürchtet und sogar vermutet, dass es eines Tages so weit kommen würde.
    »Nein, nein, nein, alles bestens. Die Möbelpacker haben sich nicht blicken lassen, das war alles. Sie sollten aus Rhode Island kommen, aber sie tauchten nicht auf. Das tut mir so Leid, ich dachte, ich hätte angerufen! Es waren

Weitere Kostenlose Bücher