Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
halbwegs den Überblick zu behalten. Er war sehr systematisch veranlagt. So eine Anordnung käme mir auch ab und zu gelegen, zum Beispiel, wenn ich gerade kochende Milch in die schnell bräunende Mehlschwitze gießen will und merke, dass ich noch gar keine Milch aufgesetzt habe. In so einem Augenblick wäre es höchst praktisch, wenn ich die kleinste Kasserolle schnell griffbereit hätte und nicht mit der einen Hand unter der Arbeitsplatte kramen müsste, während ich mit der anderen wie wahnsinnig in der Mehlschwitze weiterrühre. Aber so eine Ordnung werde ich nie haben, denn ich bin alles andere als systematisch.)
Die Zubereitung von Purée de Pommes de Terre à l’Ail ist anspruchsvoll und geht nicht gerade schnell, aber obwohl ich so spät angefangen hatte, war ich nun schon fertig, und die Knochensuchexpedition (oder was von ihr übrig war) war immer noch nicht zurückgekehrt. Ich wurde nervös. Um mir die Zeit zu vertreiben, sah ich meine E-Mails durch.
Meine Freundin Isabel lebt mit ihrem Mann und ihrer Mutter, einer Tierkommunikatorin, im Hill Country von Texas. Isabel ist... Scheiße, ich kann Isabel nicht beschreiben. Sehen Sie selbst:
Nancy hat mir vor kurzem einen TOLLEN, unheimlich visionären Truman-Capote-und-Burroughs-haften Traum erzählt, in dem ich mit einer Gruppe von geistesgestörten Backenhörnchen eine Fernsehshow für Ostern einstudiert habe. Das erinnerte mich an einen Traum, den ich letzte Woche hatte, der bestimmt auch etwas über die Zukunft aussagt, ich hab das noch mal in meinem »Dreaming Into Truth« nachgelesen, alle Anzeichen sprechen dafür.
Ich kenne keine Nancy, ich verstehe nicht (und will es auch nicht), wie man einen Traum über tanzende Backenhörnchen so deuten kann, dass er auf Truman Capote und William S. Burroughs verweist oder einem was von der Zukunft verrät, und ich habe noch nie von einem Buch namens »Dreaming into Truth« gehört. Außerdem muss man wissen, dass Isabel diesen Brief an ihre gesamte Mailingliste schickt, mindestens mehrere Dutzend Personen. So ist sie immer. In einem Zeitalter, wo sich alle kurz fassen, ist Isabel schamlos weitschweifig. Das Ganze liest sich etwas unterhaltsamer, wenn man ihre Stimme kennt. Isabel hat eine Stimme wie eine hochbegabte Drittklässlerin, die ihr Retalin nicht eingenommen hat. Völlig unberechenbar ahmt sie erst leise und gurrend irgendwelche Leute nach, die kein Mensch kennt, und schießt dann trillernd in die höchsten Höhen und wieder zurück. Manchmal zerreißt es einem schier das Trommelfell. Ihre Stimme ist, glaube ich, gerade in diesem Augenblick nicht unähnlich der von Julia:
Ich gehe an einem Flussufer auf Kopfsteinpflaster spazieren. Ich komme an einem Straßencafé vorbei, an einem der Tische sitzt Richard Hell.
(So, der auch noch. Ich habe keine Ahnung, wer Richard Hell ist, keinen blassen Schimmer.)
Er trinkt Eistee und trägt einen alten karierten Pulli, Lederhosen und dick aufgetragenen lila Eyeliner, was echt sexy aussieht. Ich sag also: »Erinnerst du dich an mich? Ich bin Isabel. Ich wollte dir nur sagen, dass ich ›Find It Now‹ fertig gelesen habe und es wunderbar finde.« Sein Buch heißt »Go Now«, aber im Traum nannte ich es »Find It Now«, nicht weil ich mich an den Titel nicht erinnerte, sondern weil es im Traum so hieß. Und Richard sagt: »Möchtest du einen Schluck echten englischen Tee?« Doch wie ich die Hand ausstrecke, um die Tasse entgegenzunehmen, merke ich, dass ich einen knallrosa Dildo in der Hand habe. Er ist ganz winzig klein, so groß wie meine Handfläche. Ich weiß, dass er erst in der Badewanne groß wird, wie ein Schwamm, nur hart. Als Nächstes weiß ich, dass ich an eine Wohnungstür klopfe, die in einem komischen, verblassten Rot gestrichen ist und die Nummer 524 trägt. Meine Freundin Julie - ihr wisst schon, die Julie mit diesem Koch-Blog, wo ich euch den Link geschickt hab - öffnet die Tür, ihr Haar ist ganz zerzaust, und im Hintergrund jongliert ihr Mann Eric mit Pizzateigkugeln und singt sehr schön. Julie lädt mich zum Essen ein, aber ich gebe ihr den Dildo und sage: »Danke für den Dildo, den du mir geschenkt hast, aber ich kann ihn nicht gebrauchen.« ulie fragt warum und schaut erschrocken, und ich sage: »Ich bade nicht mehr, ich dusche nur noch.« Darauf sagt Julie völlig unjuliehaft zimperlich: »Na, das ist ja schließlich dein Problem, oder?«
Also, das ist mir jetzt sehr peinlich, und Tante Sukie stirbt,
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