Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
ich im ersten Augenblick nur: Es schmeckt wie richtig guter Sex . Aber es war noch mehr als das. (Doch was kann man eigentlich mehr verlangen? Mit dem Verkauf von dirty-sex-Steaks könnte ich womöglich meine erste Million machen.) Im Grunde schmeckte es nach Leben, einem guten Leben. Natürlich hatte die Kuh, von der das Mark stammte, ein ziemlich beschissenes Leben gehabt - eingepfercht, mit Medikamenten voll gestopft und gefüttert mit irgendwas Geschmacklosem, vielleicht sogar mit pulverisierten Verwandten. Aber tief in ihren (oder seinen) Knochen schlummerte die Fähigkeit zu wilder Freude. Und die schmeckte ich.
Eine Theorie über Kannibalen lautet, dass sie Teile ihrer getöteten Feinde essen, um sich deren beste Eigenschaften anzueignen, ihre Kraft, ihren Mut. Dann gab’s da diese Sache in Deutschland. Sie haben sicher davon gehört. Da hat sich ein Mann von einem anderen seinen Penis abschneiden und kochen lassen und aß ihn dann - zum Henker, wozu soll denn das gut sein? Was hat er denn gedacht, was ihm der Geschmack seines pfannengerührten Pimmels über ihn selbst verraten würde? Wollte er noch einen letzten Freudentropfen aus dem Ding quetschen? (Hilfe, das ist ja eine unnötig saftige Metapher!) Aber irgendwie - erklärte ich beim Essen - erschien mir dieses Steak mit Marksauce nicht viel anders. »Es ist, als ob man Leben äße. Fast, als ob man sein eigenes Leben äße, findet ihr nicht?«
»Nee, eigentlich nicht. Aber es ist ein höllisch gutes Steak, Schwesterchen.«
Wenn ich in meinem Downtown-Büro so was von mir gäbe, würde ich nur verlegene Blicke ernten und anschließend eine interne Untersuchung. Besonders am ersten Jahrestag der tragischen Ereignisse fände man dort ein Gespräch über spirituellen Kannibalismus wahrscheinlich ziemlich geschmacklos. Sally würde es vielleicht verstehen, der einzige sexbesessene ehemalige Rabbinerlehrling in unserem Bekanntenkreis, wenn sie den Schock einer U-Bahn-Fahrt aus Manhattan raus überlebte. Und Julia vielleicht auch.
Als ich am 12. September morgens im Bett lag und angstvoll dem Augenblick entgegensah, da ich die Bettdecke zurückwerfen und zur Arbeit gehen musste, dachte ich an Julias Arbeit für ihre staatliche Behörde. Das OSS gab es schon vor der Erfindung von Großraumbüros und ihren Folgen, deshalb musste Julia nicht in einem Kabäuschen zwischen Stellwänden arbeiten. Sie musste nicht ans Telefon, musste keine weinenden Menschen trösten und nicht mit der U-Bahn heimfahren. Sie musste Informationen weitergeben, die wesentlich geheimer waren als die Tatsache, dass Bürokraten Arschlöcher sind und eine nicht unbedeutende Minderheit von Amerikanern strohdumm, halbirre und/oder entsetzliche Denkmalgestalter. Diesbezüglich war sie damals als Sekretärin besser dran.
Aber sie hatte ihren Paul noch nicht, dachte ich, als ich mich zu einem letzten Nickerchen an Erics Rücken kuschelte. Und - ich schmeckte einem letzten, zarten, fleischigen Bäuerchen nach - sie hatte noch kein Rindermark. Also hatte ich ihr auch etwas voraus.
Juni 1944
Kandy, Ceylon
Für diese Fieselarbeit reichte die eine nackte, blendende 25-Watt-Birne schon bei schönem Wetter und am helllichten Tag nicht aus; am Abend eines verregneten Tages wurde das Arbeiten nahezu unmöglich. Paul kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel, dann drückte er die Handballen gegen die Augen. Sein Darm rebellierte wieder, und er hätte eigentlich im Bett bleiben sollen, aber diese Arbeit erledigte sich nicht von selbst - wer in seiner Person die gesamte Presentation Division vereinigte, durfte nicht krank sein.
Er starrte geistesabwesend aus dem Fenster. Durch den Vorhang aus warmem Regen sah er, wie die kleinen Elefanten aus dem Botanischen Garten zu ihrer Abendmahlzeit getrieben wurden. Der langsame, wiegende Gang dieser Tiere, die kurzen wedelnden Schwänze und die komisch langen Stummfilm-Wimpern heiterten ihn immer auf. Der Garten war bei jedem Wetter schön. An der Wand seiner Cadjan-Hütte saß eine smaragdgrüne Eidechse und erzeugte ein Geräusch wie ein Spatel in einer gusseisernen Pfanne. Paul grub die Finger tief in die Socke und kratzte vergeblich an seinem verfluchten Fußpilz, dann kehrte er an den Zeichentisch zurück und beschloss, wenigstens eine letzte Schautafel noch fertig zu machen.
Doch als er sich endlich hingesetzt und den Kopf wieder bei der Arbeit hatte, ging das einzige Licht aus. Natürlich.
»Verdammt.« Er langte nach oben,
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