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Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche

Titel: Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Powell
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kann. Der panische Schrecken, der mich bei diesem Gedanken durchfährt, beweist a) dass es so etwas wie eine biologische Uhr gibt, b) dass ich eine solche habe und c) dass sie tickt.
    Mein ganzes Leben lang hatte ich das Gefühl, als ereigneten sich in mir ständig winzige Explosionen und kleine Revolutionen, als hätten Verschwörer in meinem Körper Minen gelegt. Als Heathcliff »nicht der Ehetyp« sagte, spürte ich, wie eine dieser Minen losging.
    »Was soll das heißen, ›nicht der Ehetyp‹?«
    Jetzt rieben sich Heathcliff und Eric beide die blauen Flecken an ihren Armen. »Was ist denn daran so schlimm? Es muss doch nicht jeder heiraten!«
    Natürlich nicht. Es muss nicht jeder heiraten, genauso wenig wie jeder heterosexuell sein oder französisch kochen muss. Aber die jähe Übelkeit, die mich bei seinen Worten durchfuhr, war echt und ging nicht weg.
    »Man wird nicht einfach so oder anders geboren.«
    »Ach, ich weiß nicht. Vielleicht doch.«
    Heathcliff hatte es nie an Frauen gefehlt, ebenso wenig wie es Sally an Männern gefehlt hatte, dennoch war er im Kern immer ein Junggeselle geblieben. Er geht leichten Schritts durchs Leben, besitzt wenig, hält Abstand - eine Art rothaariger Letzter Mohikaner. Normalerweise stört mich das nicht.
    »Und du stehst also über dieser ganzen Ehegeschichte?«
    »Was?« Er hob die Brauen, gleichzeitig sardonisch und verdutzt, was nur Heathcliff zuwege bringt.
    »Schau mich nicht so an.«
    »Wie denn?«
    »Als ob du besser wärst als ich.« Plötzlich pochte mir das Blut in den Ohren, und ich merkte, dass ich drauf und dran war, etwas zu sagen, was ich bereuen würde. Ich würde gleich petzen .
    Als ich in der vierten Klasse war und Heathcliff in der ersten, trennten sich unsere Eltern. Unser Vater zog in eine Eigentumswohnung ganz im Süden von Austin, und über ein Jahr lang sahen wir ihn nur zweimal in der Woche - einmal, wenn er uns zum Hamburgeressen und Videospielen abholte, und einmal, wenn er mit unserer Mutter zur Eheberatung ging. Sie fochten es aus, Dad zog wieder ein, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch zusammen - wenn auch manchmal griesgrämig und gereizt. All das war Familiengeschichte. Aber ich wusste etwas, das Heathcliff nicht wusste.
    Es passierte in Dads Citroen ZX. Vater fuhr, Mutter saß auf dem Beifahrersitz, ich saß hinten, und Mutter weinte.
    »Geht’s dir gut, Mummy?«, fragte ich.
    »Nein, Liebes, es geht mir nicht gut.«
    »Hast du Kopfweh?« Mom hatte Probleme mit den Nebenhöhlen, sie hatte oft Kopfweh.
    »Nein, Herzweh.«
    Das war neu. »Wieso?«
    »Weil dein Vater eine andere Frau liebt.«
    Mom und ich hatten beide eine Begabung für verletzende Melodramatik. Selbst in diesem schrecklichen Augenblick war ich mir dunkel der Tatsache bewusst, dass ich ihr eine satte Steilvorlage geliefert hatte. Noch als ich auf dem Rücksitz zu schniefen anfing, dachte ich tief im Innern, dass ich mir diese Sätze merken musste - ich wusste eine rührselige Schnulze zu schätzen.
    Das Ganze war so aufregend und dramatisch, dass mich das Wissen um diese andere Frau erst Tage später zu belasten begann, und von da an wurde es immer drückender. Im Einkaufszentrum oder auf der Straße starrte ich Frauen an und fragte mich, ob eine von ihnen SIE war. Ich wurde schnell müde. Ich bekam so arge Ringe unter den Augen, dass die Lehrer mich von der Schule heimschickten. (Allerdings werde ich wohl auch mein schauspielerisches Talent eingesetzt haben.) Als Mutter mich bat, Heathcliff bitte, bitte, bitte nichts davon zu sagen, versprach ich es. Warum sollte man dieses Elend auch noch verbreiten?
    Und offenbar empfand ich dieses Versprechen als bindend, denn als ich es schließlich an diesem Abend über unseren Artischocken und Tomatenomelettes brach - wie aus Rache platzte ich damit heraus und erzählte Heathcliff, dass zu der Zeit, als er in der ersten Klasse war, sein Vater mit einer anderen Frau geschlafen hatte und seine Eltern trotzdem zusammengeblieben waren, nicht weil sie »der Ehetyp« waren, sondern weil sie sich höllisch bemühten und sich mehr liebten als sie sich verletzt hatten -, als es also so aus mir sprudelte, fing ich an zu zittern, und ein Angstkloß, klein, aber schwerer als Eisen, drohte meine Kehle zu verschließen, als sei mein Körper zu dem Ergebnis gekommen, es sei besser zu ersticken als ein Geheimnis auszuplaudern.
    Was glaubte ich denn? Dass sich mein Bruder wieder in den sechsjährigen Jungen verwandeln würde,

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