Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
vor sich hinschaukelte, führte natürlich zu einem Gespräch über Sallys Liebesleben, stets ein anregender Gesprächsstoff.
»Es ist ja nicht so, dass der Kerl eine fette Beute gewesen wäre. Vielleicht ganz schnuckelig, wenn man auf diesen Typ Mann steht.« Sallys Typ ist muskulös, laut, hübsch, lustig und arrogant, meiner ist dünn, still, dunkel, lustig und schüchtern. In all den Jahren unserer Freundschaft fühlten wir uns nie von demselben Mann angezogen. »Aber er ist ein falscher Fuffziger. Im Grunde hat er ihr gesagt, sie müsse sich um einen Studienplatz in Oxford bewerben, sonst würde er sich für sie schämen. Er sich für sie schämen! Dieser blöde Arsch hat es eigentlich nicht einmal verdient, ihr die Manolos zu lecken!« Sally war die einzige Frau in meiner Umgebung, die tatsächlich Manolos besaß - sie kaufte sie bei eBay, und sie gaben ihr das Gefühl, herrlich sexy zu sein. Und wenn Sally sich herrlich sexy fühlte, fand sie auch jeder Mann im Umkreis von drei Häuserblocks herrlich sexy - das war eine Frage der Pheromone, sie konnte gar nicht anders.
Heathcliff stocherte etwas argwöhnisch in seinen Artischocken herum, als ob sie sich noch immer zur Wehr setzen könnten. Aber obwohl Artischocken tatsächlich zurückschlagen, wenn man sie angreift, hatten diese besonderen Exemplare keine Chance gehabt, ihrem Schicksal zu entgehen: Geschwollener Knöchel hin oder her, ich war ihnen haushoch überlegen. Ich hatte ihnen den Stängel abgebrochen und die Blätter gekappt, sie zerteilt und entblättert bis auf die zarte gelbe Scheibe mit dem stachligen roten Mittelpunkt einer tropische Blume, hatte sie in eine Schale voll Wasser gesetzt und mit Essig begossen, damit sie ihre Farbe behalten, sie dann geköchelt und gnadenlos die zähen, bunten Blütenblätter, die letzte Wehr der Artischocken, herausgeschält, bis sie nur noch gefällige Butterschälchen waren. »Wenn er so ein Arschloch war, wo liegt dann das Problem?«
»Das Problem liegt darin, dass sie jemanden braucht. Jedenfalls meint sie das. Aber mir hört sie ja nicht zu.«
Ich bin mit Eric zusammen, seit ich Sally kenne, und in all der Zeit hatte sie keinen Freund länger als sechs Monate. Dieser Zustand hat Vor- und Nachteile. Manchmal konfrontiert sie uns mit einem ganzen Sammelsurium von Kerlen: Mit dem ersten gehen wir am Mittwoch kubanisch essen, mit einem zweiten am Freitag in einen Ben-Stiller-Film, den dritten lernen wir am Sonntag beim Brunch kennen. Sally und er sind frisch geduscht und noch erhitzt von der letzten morgendlichen Runde. Sie hat ein fröhliches, lüsternes Glitzern in den Augen, und wenn der Kerl aufsteht und zur Toilette geht, lehnt sie sich grinsend über den Tisch und flüstert: »Was sagst du? Der ist doch süß, oder?« Diese periodisch wiederkehrenden Frühlingsphasen in Sallys erotischem Leben hauen mich regelrecht um. Eins muss ich sagen: Wer seine erste Liebe aus der High School heiratet, dem geht die polyamouröse Lebensweise durch die Lappen. Nichtsdestotrotz gibt es einem immer wieder einen leichten Kick, Sally so selbstsicher und stolz zu erleben. Mit der einen Hand packt sie diese Knaben am Schwanz und mit der anderen hält sie die Welt am Gängelband.
Aber dann wird eine Schulfreundin schwanger oder Sallys Mutter schenkt ihrer unerträglich angepassten kleinen Schwester zur Hochzeit ein selbst gemachtes Kochbuch mit Familienrezepten und weigert sich, Sally auch eins zu schenken mit der Begründung, das bekäme man »nur, wenn man verheiratet ist«. Daraufhin schleppt Sally nur noch einen Kerl an, entweder einen von den drei ursprünglichen oder einen ganz anderen, und diesmal liegt ein leicht verzweifeltes Flehen in ihren Augen. Wenn sie fragt: »Er ist doch süß, oder?«, klingt das mehr nach einer inständigen Bitte um Bestätigung als nach dem stolzen Quittieren ihres Fangs. Sie stellt weitere Suggestivfragen: »Weißt du«, sagt sie dann und reißt die Augen besorgt auf, »er will nur dreimal in der Woche mit mir schlafen. Das ist doch ein schlechtes Zeichen, findest du nicht?« Oder sie fragt einfach: »Was würdest du an meiner Stelle tun?«
Sally erwartet die üblichen Ratschläge einer verheirateten Freundin: »In jeder Beziehung gibt es ein Auf und Ab, halt einfach durch«, usw. Aber ich will ihr diesen Rat nicht geben. Meistens mag ich den Kerl sowieso nicht, und ich mag auch nicht, wie Sally ist, wenn sie mich das fragt. Was ich mag, ist die ausgelassene, liebestolle, bewusst
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