Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche

Titel: Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Powell
Vom Netzwerk:
den ich beschützen musste, der im Schlafanzug unter dem flaschengrünen Glascouchtisch meiner Eltern kauerte, das helle Haar noch feucht vom Baden und das Gesicht in fassungslosem Weinen verzerrt?
    Nun, er weinte nicht. Stattdessen aß er noch einen Bissen Omelette. »Das wusste ich nicht«, sagte er. Er spießte sein letztes Stück Ei mit der Gabel auf und wischte damit über den Teller, um die Sauce aufzutunken. »Aber es leuchtet mir ein. Am Ende wurde ja alles noch gut, also hat es wohl keine große Rolle gespielt.«
    Er rülpste. »Ich dachte, Omelettes zum Abendessen seien ein bisschen idiotisch, aber die hier waren ziemlich gut.«
    Das war’s. Ich hatte mein Wort gebrochen und das vielleicht einzige echte Geheimnis, das mir je anvertraut worden war, nicht für mich behalten. Doch der Erdboden hatte mich nicht verschlungen. Am Ende stellte sich heraus, dass es gar nicht so wichtig war. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein sollte.
     
    In Mastering the Art of French Cooking gibt es ein ganzes Kapitel über Eier. Als ich mich hindurchkochte, merkte ich, dass ich furchtbar neugierig auf etwas war, wovon hier nie die Rede war: Julia Childs erstes Ei . Sie hat doch bestimmt nicht von Geburt an vergnügt und meisterhaft Omeletts gewendet, oder? Bestimmt hat auch die große Julia Child üben müssen. Wie also sah Julias erstes Ei aus? War es ein Rührei - der traditionelle Weg? War es ein Osterei, das sie selbst gekocht hat, um die Zeit bis zum großen Ostermenü zu überbrücken? Oder war sie schon älter, als sie ihr erstes Ei kochte, eine junge Frau, die nicht zugeben wollte, dass sie das nicht konnte? Die in ihrer ersten New Yorker Wohnung versuchte, ein Dutzend Eggs Benedict zu machen und schließlich ein halbes Dutzend misslungene pochierte Eier wegwarf, als die Mitbewohner ihr gerade den Rücken zukehrten?
    Hatte sie womöglich geheiratet, bevor sie mit Eiern umgehen konnte? Julia heiratete spät, mit fünfunddreißig, vielleicht hat sie sich eine Zeit lang gefragt, ob sie überhaupt der Ehetyp war. Das fragte ich mich an jenem Abend, als Eric abspülte, Heathcliff ein Ben & Jerry-Eis direkt aus dem Pappbecher aß und ich mich von der Erkenntnis erholte, dass die Aufdeckung eines jahrzehntealten Geheimnisses keine große Sache war. Aus irgendeinem Grund tröstete mich der Gedanke, dass Julia ihr erstes Ei in ihrer Mansardenwohnung in Paris zubereitet hat, als sie sich in ihren Kokon einspann, um sich in die neue Julia zu verwandeln - die Julia, die sie einmal werden sollte.

42. TAG, 53. REZEPT / 82. TAG, 95. REZEPT

    Desaster und Dinner, Dinner und Desaster Eine Studie zum dualistischen Prinzip
    A m 1. Januar 1660 begann ein junger Staatssekretär in London ein Tagebuch. Er schrieb, er sei in die Kirche gegangen und der Pfarrer habe irgendetwas über die Beschneidung gesagt, dann habe es Mittagessen gegeben. Er erwähnte, dass sich seine Frau die Hand verbrannt habe, als sie die Truthahnreste aufwärmte.
    In den nächsten neun Jahren schrieb dieser Bursche jeden Tag . Er beschrieb das große Feuer von London und einige zu lang gebratene Hammelkeulen, ging in Hunderte von Theaterstücken, gelobte das Trinken aufzugeben und änderte seine Meinung wieder. Er aß viel - egal wie bedenklich die Lage der Nation war, ein Fässchen Austern war immer willkommen -, arbeitete viel und schäkerte mit allen Mädchen, die ihn gewähren ließen. Und er schrieb über all das ehrlich und hemmungslos. Oft unterhaltsam, oft wahnsinnig langweilig, manchmal sprühend vor Leben, der Sid Vicious unter den Tagebuchautoren des 17. Jahrhunderts. Und dann, am 31. Mai 1669, hörte er einfach auf.
    Mancher Blogger würde Samuel Pepys vielleicht als eine Art Vorläufer bezeichnen, aber unsereins drückt sich nicht gerade gemäßigt aus, ich weiß nicht, ob ich uns zuhören wollte. Freilich, auch Pepys hatte eine exzentrische Ader: Er ließ sich über gelungene und weniger gelungene Einrichtungsideen aus, er vermerkte, wie er einmal in einem Wassertaxi onanierte, und er schrieb im Nachthemd. Nichtsdestotrotz zeigte er keiner Menschenseele seine Einträge, obwohl er sämtliche Bände dieses Tagebuchs sorgfältig bis an sein Lebensende aufhob. Wenn wir heute über unsere Gewichtsprobleme bloggen, übers Stricken oder unsere Meinung zum IQ des Präsidenten, so tun wir das in der vergnügten Zuversicht, dass der eine oder andere Hahn danach krähen wird. Zwar mag es Blogger geben, die in Bagdad festsitzen, oder andere,

Weitere Kostenlose Bücher