Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
die als Aushilfssekretärinnen in Washington von republikanischen Volksvertretern für Sex bezahlt werden. Gegen deren Mitteilungen nehmen sich unsere Notizen bestimmt furchtbar langweilig aus. Heute kann jeder, der einen schrottigen Laptop und Zugang zum Internet hat, sein wie auch immer geartetes primitives Gestammel ertönen lassen. Aber das Verwunderliche ist, dass sich für jede Aussage mindestens einige wenige Leute interessieren. Und nicht immer nur Verwandte.
Ich glaube, Sam Pepys hat deshalb neun Jahre lang jede Einzelheit aus seinem Leben niedergeschrieben, weil der bloße Akt des Aufschreibens sie wichtig oder zumindest einzigartig machte. Die Maler im oberen Stockwerk zu beaufsichtigen, dürfte ziemlich langweilig gewesen sein, aber sobald er darüber schrieb , erschien das Beaufsichtigen der Maler als etwas Interessantes. Wer droht, den Hund seiner Frau umzubringen, weil dieser auf den neuen Teppich gepinkelt hat, kommt sich vielleicht ein bisschen dämlich und schäbig vor, aber schriftlich festgehalten wird das Ganze zur lustigen Familienanekdote, an die man sich noch Hunderte von Jahren später erinnert. Angenommen, Pepys hätte auf einer Druckerpresse ein todsicher anonymes Pamphlet herstellen und in den Straßen von London verteilen lassen können. Hätte er sich nicht gefreut, wenn er zufällig in einer Kneipe gehört hätte, wie irgendein Kerl seine Story über des Königs Cockerspaniel, der die königliche Barke voll geschissen hatte, zur allgemeinen Erheiterung wiedergab?
Es ist ein gefährlich prickelndes Beichtstuhlgefühl, wenn man das eigene, ungemein faszinierende Leben und Denken vor der ganzen Welt offen legt, und das Internet macht alles schneller, atemberaubender und aufregender. Aber ich frage mich: Besäßen wir Sams Wichsergeschichten und Berichte über seine eheliche Kabbeleien, wenn er sein Tagebuch im Netz und nicht auf dem Papier geführt hätte? Es ist schon recht, wenn man seine sexuellen und sozialen Fehltritte aufzeichnet, um dem eigenen Masochismus zu frönen, aber sie gleich mit der ganzen Welt zu teilen...? Ich finde, alles hat seine Grenzen, oder?
Ich wollte Heathcliff eine Bavarois à l’orange machen, solange er noch in New York war. Orangen sind sein Ein und Alles. Aber meine mutantenbedingte Gelier-Schwäche ließ mich zögern. Auf meinem Weg durch das Kapitel »Desserts« war die Crème brûlée zur Suppe geworden, und meine Crème Plombières schwankte zwischen weich, aber flüssig, und fest, aber körnig. Anders als zur Plombières brauchte man zu der Bayrischen Creme Gelatine. Ich wusste nicht, ob dies Gutes versprach oder Schlimmes ahnen ließ. Die Vorstellung, meinem Bruder, einem Mann, der aus Blechdosen mühelos Eismaschinen verfertigt, einen misslungenen Nachtisch vorzusetzen, machte mich entsetzlich nervös.
Am Morgen von Heathcliffs letztem Samstag in New York erwachte ich von Erics Stöhnen und wusste sofort, dass uns wieder einmal ein Migräne-Tag ins Haus stand. Jeder hat irgendeine Erbanlage, die er verflucht - bei Eric war es die, dass er sich manchmal einen ganzen Tag lang übergeben musste und in den Pausen dazwischen nur im Bett liegen konnte, die Arme über den Augen, weil er an bohrendem Kopfweh litt. Es klingt nicht sehr nett, aber ich hatte kein Mitleid mit ihm, wenn er einen dieser Durchhänger hatte, weil er nämlich nicht zum Arzt ging, sondern alles auf einen »schlechten Magen« oder zu viele Wodka-Gimlets schob. An diesen Tagen stöhnte und würgte er nicht nur, sondern schwitzte und stank auch, es war kein Vergnügen, sich in seiner Nähe aufzuhalten. Sollte ich jemals zu dem Schluss kommen, dass ich nicht der Ehetyp bin, dann an einem von Erics Migränetagen.
Ich war früh aufgestanden, weil ich hoffte, das erste Gewürge mit Radiomusik und dem Blubbern der Kaffeemaschine zu übertönen. Punkt acht Uhr rief Sally an.
»Ach du liebe Zeit! Habe ich dich geweckt?«
»Nein, ich bin schon auf.«
»Bestimmt? Lieber Gott, es ist unglaublich, ich bin so früh aufgewacht. Ich kann zurzeit nicht schlafen.«
»Ist schon gut. Ich lese gerade Zeitung. Was gibt’s?«
»Ich hab mit Boris gesprochen.«
»Wer ist denn Boris?«
»Boris! Mein kroatischer Möbelpacker.«
»Du hast doch gesagt, er sei Tscheche.«
»Na ja, ich hab mich geirrt, er ist Kroate. Jedenfalls kommt er heute mit seinem Bruder aus Providence. Sie fahren um neun Uhr los, ich schätze, sie sind um halb eins oder so in Queens. Können wir dann die Couch
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