Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
Sofa übernachten und am nächsten Morgen zur Erholung ein paar Œufs en Cocotte essen musste.
Wenn es zwei Arten von Freundinnen auf Erden gibt, solche, die das Gute, Schöne und Wahre in einem wecken, und solche, die lieber auf ihrem Hintern sitzen bleiben und einem beim Scheiße bauen helfen, so gehört Gwen definitiv zur zweiten Kategorie. Ich bezeichne sie als meinen Schutzteufel. Sally ermuntert mich, meine inneren Werte aufzuspüren, mich zu lieben und meinen Körper wie einen heiligen Schrein zu behandeln. Sie will, dass ich nicht so viel trinke und eine Therapie mache. Wahrscheinlich sollte ich mehr mit ihr zusammen sein. Aber gerade in schlimmen Zeiten, an Tagen mit Aspik und Schneeregen, sehne ich mich weniger nach Besserung, Hoffnung und einem Trainingspartner als nach einer neuen Flasche Schnaps, einer Packung Marlboro und jemandem, der mit mir Buttersauce isst und Wiederholungen im Fernsehen anschaut. Ein Glück für mich (wenn auch vielleicht Pech für Gwen), dass ich nur eine eigenbrötlerische Sekretärin in Queens mit einer Vorliebe für Wodka und Zigaretten bin und nicht eine, sagen wir, bisexuell unternehmungslustige Stripperin mit einem Hang zum Koksen - ich habe das Gefühl, bei einer solchen Fülle potentieller Katastrophen würde Gwen erst zu richtiger Form auflaufen, nach Art der großen Shakespeare’schen Verführer.
Ich möchte hier keinen falschen Eindruck erwecken. Es ist beileibe nicht so, dass Gwen eine haltlose Bacchantin wäre, ein Falstaff, wiedergeboren als ergreifend verbitterte kleine Blondine mit Modebewusstsein (ich sage das als ein Mensch mit nahezu unerschöpflichen Reserven an Verbitterung). Aber sie passt sich an . Wenn ich mich betrinken, mich dumm und dusslig futtern, mir vier Folgen Buffy ansehen und so viele Zigaretten rauchen will, dass ich mich am nächsten Morgen wie ein Aschenbecher fühle, na gut, dann macht sie eben mit, in Gottes Namen. Wenn sie mehr mit Sally zusammen wäre, würden die beiden wahrscheinlich ein Aufbaustudium machen oder Kurse für Bikram-Yoga belegen. Aber sie ist nun mal mehr mit mir zusammen.
Vor dem Hintergrund meines durchaus bedenklichen Ratschlags in Sachen Mitch mag man vielleicht fragen, wer hier eigentlich einen schlechten Einfluss auf wen hat. Aber in diesem Fall gebe ich nicht klein bei.
Der Dezember verstrich. Eines Tages machte ich einen Termin für Bonnie in ihrem Jahreskalender und dabei wurde mir schlagartig bewusst, dass ich offiziell schon mehr als ein Viertel meines Projekts hinter mir hatte. Ich merkte, dass ich nicht einmal wusste, wie viele Rezepte ich schon gekocht hatte. Am Abend sauste ich heim, um die schwarzen Häkchen zu zählen, mit denen ich jedes erledigte Rezept markiert hatte, als legte ich eine Spur aus Brotkrumen. (Neben den wirklichen Brotkrumen und anderen Nahrungsmitteln, die sich in der Nähe des Buchfalzes eingenistet hatten und die Seiten zusammenklebten.) Es war wie befürchtet.
»Eric, ich schaff es nicht!«
»Was?«
»Was? Meinen Termin! Was ist denn mit dir los?«
Mit einem Stift in der Hand saß ich an der Kücheninsel, über das aufgeschlagene Buch gebeugt, und kritzelte jede Menge Doppelkreuze an den Rand des Sportteils der Times . Auf der Arbeitsfläche lagen Lachssteaks, die ich für entsetzlich viel Geld beim Türken um die Ecke von meinem Büro gekauft hatte. Sie warteten nur darauf, gebraten und mit Sauce à la Moutarde überzogen zu werden, einer Art gefälschter (Julia sagt »Pseudo-«, aber wir sollten doch die Dinge beim Namen nennen, oder?) Sauce Hollandaise , in die der Spannung halber ein bisschen Senf hineingerührt wird. Zusammengesunken neben dem Fisch lag eine Tüte mit leicht verwelktem Chicoree, den ich in Butter schmoren wollte. Nicht gerade ein Menü mit hohen Anforderungen. Nicht gerade Foie de Volaille en Aspic , um nur ein Beispiel zu nennen, wie man sein Leben draufgängerischer und mutiger gestalten und überhaupt ein besserer Mensch werden kann.
Im Wohnzimmer liefen die Nachrichten. In der Spüle schwankte ein entmutigender Stapel Geschirr, aber Eric saß mit dem Laptop auf den Knien auf einem Küchenhocker und spielte FreeCell. Mies.
»Ich bin völlig umsonst fett wie ein Walross geworden! Ich vergeude ein Jahr meines Lebens! Verdammt. Verdammt! VerDAMMT!«
Im Lauf der Jahre hat Eric eine Verteidigungstaktik entwickelt, nämlich das selektive Hören. Ich habe diese Entwicklung kommen sehen, denn mein Vater verfügt über die gleiche Fähigkeit. Die
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