Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
Zimmer?«
Als er wenig später mit Phil dessen Büro verließ, um zum Set zu gehen, winkte und zwinkerte er ihr zu, aber das war schon der Höhepunkt ihres geistsprühenden Schlagabtauschs. Und obwohl sie vorübergehend ein ärgerlich bridgethaftes Gelüst nach ihm empfunden hatte, dachte sie nicht weiter darüber nach.
Bis sie drei Tage später die erste IM erhielt.
> Hallo, meine Mini-Maggie, ich hatte nicht die Möglichkeit,
Sie betrunken zu machen und mit Ihnen zu
tun, wonach mir der Sinn stand. Ein Fehler, den ich
bei meiner nächsten New-York-Reise nicht zu wiederholen
gedenke.
Gwen hatte keine Chance, ihm zu entkommen.
Soviel ich weiß, hat Telefonsex seit jeher eine untergeordnete Rolle gespielt, ihm frönt nur eine relativ kleine, meist einsame und unglückliche Bevölkerungsgruppe. Aber seit dem Entstehen des Internet stehen auch dem gemeinen Volk die Freuden des anonymen, nichtkörperlichen Sex zur Verfügung. Jetzt findet man per Mausklick Dutzende von Websites, die erahnen lassen, dass die hippe Jugend jedweden Geschlechts und Bekenntnisses den Cybersex bevorzugt, nicht aus Hunger, sondern als eine von vielen Möglichkeiten der Befriedigung, die ihr in einer immer größer werdenden Welt zur Verfügung steht. Ich bin freilich keine Soziologin, man möge mir verzeihen, wenn ich hier einen Fauxpas begehe, aber ich wette, dass diese innovativen Lustkonsumenten im Menü Optionen nicht allzu oft »Telefonsex« anklicken. Und dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: Das geschriebene Wort ist sexy.
Eric und ich sind wahrscheinlich deshalb bis zum heutigen Tag zusammen, weil Prosa so sexy ist. Als wir in unserer Collegezeit in verschiedenen Bundesstaaten wohnten, führten natürlich auch wir flüsternd Telefongespräche zum Mondscheintarif. Aber letztlich waren es die Briefe, die das Feuer am Brennen hielten. Diese ganze Folter - ich fand den Umschlag im Briefkasten, trug ihn den ganzen Tag ungeöffnet im Rucksack mit mir herum, bis ich abends allein im Bett lag und die Seiten überflog, um die enge Handschrift und das wild Durchgestrichene zu analysieren, kritzelte dann meine Antwort nieder und schwitzte vor Angst, bis der nächste Brief kam -, all dies hüllte mein erstes Collegejahr in einen Nebel. Ein reines Wunder, dass ich nicht schon im ersten Semester durchfiel.
Deshalb weiß ich genau, was Gwen durchmachte, als sie und Mitch ihr quälendes IM-Hin-und-Her begannen. Wer jemals so etwas getan hat - und ich habe den Verdacht, wer allein stehend ist, in einem Büro arbeitet und, sagen wir, unter vierzig ist, dürfte dem kaum entkommen sein -, der weiß, warum man jener Kombination aus List und Spontaneität, verbunden mit der besonders tödlichen schnellen Befriedigung, auf die sich das 21. Jahrhundert so gut versteht, schier nicht widerstehen kann. Als Antwort auf das Stegreiflustgeständnis des Kollegen bastelt man eine Rückmail, einen bizarren Balanceakt zwischen Kühnheit und Distanz, und wägt jedes Pronomen und jede Abkürzung ab. Jeder Gedanke an die Pflichten am Arbeitsplatz verschwindet, während man sich in dieses literarische Geduldspiel vertieft, doch man mag sich noch so viel Mühe geben - kaum hat man auf Senden geklickt, empfindet man Gewissensbisse wegen eines allzu pubertären oder allzu hochtrabenden Scherzes, eines zu schüchternen oder zu ordinären Wortes. Auch jetzt kann man sich nicht groß mit beruflichen Aufgaben beschäftigen, denn nun stellt man sich vor, wie der Andere in seinem Büro, viertausend Meilen weit weg, dieselben kreativen Krämpfe durchmacht - oder auch nicht, weil er (Gott behüte) gar nicht zu antworten gedenkt. Man durchleidet alle Qualen der Verdammten, bis sein Icon wieder auf dem Bildschirm auftaucht:
> Wissen Sie, was mit Frechdachsen wie Ihnen geschieht,
Maggie? Denen wird der Hintern versohlt.
Und bis er die unbedeutende Tatsache erwähnt, dass er bereits acht Jahre verheiratet ist, ist man schon viel zu weit gegangen.
Foies de Volailles en Aspic sind keine ganz so arge Quälerei wie Œufs en Gelée - zumindest für mich, denn jene erste Begegnung mit Kalbfleischsülze hatte mir klar gemacht, dass der rechte Weg zum Aspik über Gelatinepulver und Fertigbrühe führt, wenn man Julie heißt und nicht Julia. Eigentlich heiße ich auch Julia, doch mich hat nie jemand so genannt - wahrscheinlich besitze ich einfach nicht die nötige Würde. Eine Julia ist unerschrocken, junonisch und leicht einschüchternd, eine Julie
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