Julie u Julia - 365 Tage, 524 Rezepte Und 1 Winzige Küche
in Sachen Aspik muss ich das wohl -, heißt »Aspik« das fertige Gericht, und mit Gelée ist der Glibber gemeint, in den die Eier oder was auch immer eingebettet sind. Im Fall von Œufs en Gelée , meinem allerersten Aspik, stammt die Sülze in dem gelée von Kalbsfüßen - und genau so, denke ich mir, hätte Sam es auch zubereitet. Oder vielmehr, hätte es zubereiten lassen . Ich kann mir schlechterdings nicht vorstellen, wie Sam Gelee aus Kalbsfüßen selber macht. Denn bei der Zubereitung von Kalbsfußsülze stinkt es in der Küche wie in einer Gerberei. Und nach meiner zugegeben beschränkten Erfahrung schmeckt das Gelee auch so.
Es geht so: Man köchelt die Kalbsfüße, die man vorher eingeweicht, abgebürstet und auch sonst zu entgiften versucht hat, zusammen mit gepökelter Speckschwarte ziemlich lang in einer natürlich selbst gekochten Rinderbrühe, bis die gallertartigen Eigenschaften von Füßen, Schwarte und so weiter in die Brühe gesickert sind. Nun sollte sich die Brühe, wenn man sie abkühlt, in ein starres Gelee verwandeln, das in der Lage ist, pochierte Eier (oder Hähnchenleber oder Schmorbraten oder was auch immer) in seinem Gummirachen festzuhalten.
Ich kann wohl mit Sicherheit sagen, dass niemand, weder ich noch die Blog-Leser, schon gar nicht Eric, an Eier in Aspik dachte, als ich beschloss, mich auf diese kulinarische Reise zu begeben. Und das ist gut so, denn Eier in Aspik lehren den kühnsten Geist das Fürchten.
Die Estragonkreuze über dem schneeweißen pochierten Ei in der Mitte sahen aus wie Negative jener Kreidekreuze, mit denen einst die Häuser der Pestkranken markiert wurden. Aber wir wagten uns weiter vor, Eric, Gwen und ich, wir klopften nur einmal mit der Gabel an und schon brachen die Œufs en Gelée auf. Vermutlich war die Sülze nicht so fest geworden wie gedacht, denn sie glitt zur Seite und floss mit geradezu unziemlichem Eifer wie seidene Unterwäsche über unseren Teller (nur ist seidene Unterwäsche nicht so widerwärtig).
Als wir das (kalte, weiche) Eigelb der pochierten Eier anstachen, ergossen sich ihre Eingeweide über die sterblichen Überreste des Aspik. Dieses Gemetzel sah nicht gerade nach dem Titelfoto einer Gourmetzeitschrift aus. Außerdem schmeckte das Ganze ein bisschen nach Huf.
Chris protestierte als Erste gegen diesen Eintrag über mein erstes Aspik. »Kannst du diese Aspiks nicht einfach ÜBERSPRINGEN?!!! Ich weiß nicht, ob ich so was noch ein zweites Mal ertrage!!!« Nun war Chris innerhalb des Julie/Julia-Projekts schon als leicht hysterisch bekannt. Aber in der Aspik-Frage hatte sie viele Anhänger.
Isabel schlug vor, ich solle die Sülze nicht essen, sondern stürzen und in Polyethuren gießen. RainyDay2 hielt mir vor Augen, »damals, als Julia Mastering the Art of French Cooking schrieb, war Aspik der letzte Schrei. Alles, was man mit diesem Zeug überzog, galt als todschick. (Damals war alles Französische à la mode , übrigens auch Pudel...) Das juckt doch uns nicht!«
Stevoleno unterstützte diesen Antrag, und meine blog readers (ich bezeichnete sie inzwischen kurzerhand als Bleaders ) nahmen ihn fast einstimmig an: Bitte kein Aspik mehr!
Nun hatte ich dieses Projekt nicht mit dem Ziel begonnen, perfekte Œufs en Gelée zu machen. Ganz gewiss nicht. Offen gestanden wusste ich nicht mehr genau, warum ich es eigentlich begonnen hatte. Wenn ich an die Zeit vor dem Projekt zurückdachte, wusste ich nur noch, dass ich in der U-Bahn geweint hatte, ich erinnerte mich an Bürotrennwände, an Arzttermine und an etwas Bedrohliches, etwas mit einer Null am Ende. Es war ein Gefühl, als wanderte ich durch einen endlosen Flur mit verschlossenen Türen. Dann hatte ich an einem Türknauf gedreht, alles wurde dunkel, und als ich wieder zu mir kam, stand ich um Mitternacht in einer hellen Küche lachend vor einem Herd; es war heiß und stickig und roch nach Butter und Schweiß. Ich war kein anderer Mensch geworden, nur derselbe Mensch in einem anderen Universum, das um Julia Child kreiste. An den Augenblick des Übergangs erinnerte ich mich nicht - Wurmlöcher bewirken merkwürdige Dinge im Gedächtnis -, aber ich befand mich ohne Frage an einem anderen Ort. Das alte Universum stöhnte unter dem tyrannischen Joch der Entropie. Dort war ich nur eine sekretärinnenförmige Ansammlung von Atomen im vergeblichen Kampf gegen Mittelmäßigkeit und Verfall. Doch hier im Juliversum waren die Gesetze der Thermodynamik auf den Kopf gestellt. Hier ging
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